Bildnis verschlossen unter gelben Kordeln

Nach der Flussüberquerung hatte Garda zur allgemeinen Freude angekündigt, dass es nur noch etwa zwei Kilometer seien, bis sie ihr Tagesziel erreichten. Daraufhin rannte Burbacki in Vorfreude auf das baldige Ende seiner Qualen erstmals mit Garda der Gruppe voran. Cedrik und Frauke hatten sich zurückfallen lassen, ohne dass sie dies abgesprochen oder geplant hatten. In großem Abstand folgten sie den anderen, aber immer in Sichtkontakt. Beide spürten das Verlangen ihrem Zorn über Wolff freien Lauf zu lassen, und dafür waren sie natürlich am besten alleine. Erst ging es nur um Wolffs Verhalten vor und nach der Flussüberquerung. Vor allem die Art wie er über sie hergezogen hatte, als sie noch nicht am Treffpunkt waren, hatte sie beide erzürnt. Cedrik sagte, dass es bereits schlimm genug sei, dass Wolff sich für den Größten halte. Unerträglich sei aber seine Geringschätung für die anderen. Aber dann erschrak Cedrik über Fraukes Reaktion. Mit hochrotem Kopf schrie sie, so laut, dass er Angst hatte, dass die anderen es hören könnten. Aber die waren weit genug weg.

-- ,,Ich hasse ihn! ...Wie keinen anderen!''

Dann stockte sie. Aber für Cedrik wirkte es so, als wolle sie noch mehr sagen. Cedrik wartete und lief schweigend neben ihr. Dieser heftige Wutausbruch konnte nicht nur mit Wolffs Verhalten während und nach der Flussüberquerung zu tun haben. Sogar alles was Cedrik von Wolff während des ganzen Seminars erlebt hatte, genügte nicht für so eine Gefühlsaufwallung. Cedrik konnte sehen, wie die Zornesröte aus Fraukes Gesicht wieder ihrer normalen Blässe gewichen war. Aber ihre Augen waren feucht und ihr Mund und die Mundwinkel schienen in kontinuierlicher Bewegung, so als ob sie nach einer Lähmung versuchte die Mundpartie wieder zum Reden geschmeidig zu machen. Gewissermaßen um ihr das Reden zu erleichtern, fragte Cedrik sie, was sie für einen Grund habe, ihn so abgrundtief zu hassen.

-- ,,Braucht es einen besonderen Grund Wolff zu verachten? Ein Typ mit so einem miesen Charakter ...'', und nach einer kurzen Pause korrigierte sie sich ,,oder besser ohne Charakter ...''

Cedrik schwieg, denn er spürte, dass sie weiterreden wollte, er musste jetzt nur warten.

-- ,,Dieser Schleimscheißer!'', setzte Frauke plötzlich wieder an, ,,Erinnerst du dich noch an die letzte Weihnachtsfeier? ...Er, mit roten Rosen für Baumeisters Luder ...''

-- ,,Aber das hatte er doch gar nicht so geplant gehabt ...''

-- ,,Das macht es ja gerade noch schlimmmer ...''. Sie stockte und fragte ihn dann: ,,Warst du überhaupt dabei gewesen? ...Du warst doch zu spät gekommen?''

Mehrere Personen hatten damals Cedrik gefragt, ob er mit ihnen zur Feier ginge, aber er sagte allen, dass er etwas später käme, er habe noch ein kleines algorithmisches Problem zu knacken. Dann, als es völlig ruhig geworden war, keine Stimmen mehr zu hören waren, keine Schritte mehr auf dem Flur oder über seinem Büro zu hören waren, kaum mehr ein Telefon klingelte, versank er in seinem Programm. Ein Zustand den er öfters erreicht, wenn er sich in ein Problem vertieft. Dann vergisst er zu frühstücken oder merkt nicht, dass Mittagszeit ist, um dann erst spät am Nachmittag, ein Hungergefühl zu verspüren, dass ihn am Denken hindert. Die Weihnachtsfeier war weit weg von ihm, oder anders ausgedrückt ebenso nahe wie Ostern oder der nächste Sommerurlaub. Seine Lösungsansätze für sein Problem lagen wie Schall- und Sichtpuffer um ihn. So, dass er lange Zeit noch nicht einmal sein Telefon hörte. Aber dann drang das penetrante Klingeln doch in sein Bewusstsein und störte seine Kreise. Genervt hob er ab. Scharf und schroff nannte er seinen Namen, um dem Anrufenden sofort zu signalisieren, dass man ihn gestört habe.

-- ,,Also Ihren Arbeitseifer in Ehren, aber wir warten hier auf sie!'', schallte Baumeisters ebenso verärgerte Stimme aus der Hörmuschel.

Baumeister war ungeduldig und wollte mit seinem Vortrag beginnen, der wie jedes Jahr zur Weihnachtszeit die seiner Meinung nach wichtigsten Punkte des Jahres zusammenfasste. PowerPoint gibt ihm die Power nicht zum Punkt zu kommen. Fehlendes Hintergrundwissen lässt sich wunderbar in blauen wolkigen Hintergrundwolken verbergen. Bunte Bilder suggerieren Ideen wo Leere vorherrscht, ausgefeilte Designer-Schriften übertünchen sprachliche Holprigkeiten und Buchstaben, Linien und Untergründe im Spektrum des Regenbogens erheben Einfalt zur Kreativität.

Kein Wunder, dass Baumeister beinahe in Panik verfallen war, als sein Beamer nicht funktionierte. Baumeisters Sekretärin Belle, die eigentlich Isabelle heißt, und er selbst waren die ersten im Raum, in dem die Weihnachtsfeier stattfinden sollte. Sie hatte darauf gedrängt möglichst früh zu gehen, um zu schauen, ob alles in Ordnung sei, insbesondere traute sie dem neu für die Dekoration beauftragten Gärtner nicht. Ihm würde es Gelegenheit geben, in Ruhe seinen Laptop mit Beamer einzurichten. Aber trotz Reboot -- sonst fiel ihm nichts ein, -- strahlte der Beamer nur ein buntes Ready-Signal und das Logo des Hersteller statt seines Laptop-Bildschirms an die weiße Wand. Er wartete sehnsüchtig darauf, dass ein Entwickler käme, den er um Hilfe bitten könnte, bevor alle da wären. Ohne Technik, also ohne lustige aufheiternde Bilder und Effekte, wäre sein Vortrag nur das, was er im Wesentlichen war: ein langweilige Aufeinanderfolge von Geschäftszahlen und nichtssagenden Projektnummern und Kürzeln, die nur durch das Rezitieren einer Telefonbuchseite an Spannung zu überbieten wäre.

Baumeister ärgerte sich, dass ihm Belle nicht half, auch wenn er nicht wusste, wie sie ihm ohne technischen Sachverstand überhaupt helfen konnte. Stattdessen rannte Belle aufgeregt um die Tische und bewegte die Deko hin und her. Wenn sie sich vorstellte, dass der Gärtner für so eine jämmerliche Deko auch noch Geld nehme, viel Geld wolle, murmelte sie ständig vor sich hin. Im nächsten Jahr müssten sie unbedingt wieder die Gärtnerei Schlauch nehmen, die seien wirklich topp! Aber der einzige Mensch im riesigen Nebenraum der Krone war ihr Chef, Oswin Baumeister, und den interessierte nur sein Laptop und sein Beamer.

Als Frauke, -- bemüht unnötige Geräusche zu vermeiden, -- durch die dunkle eichene Flügeltür, von der sie nur einen Flügel geöffnet hatte, den Saal betrat, hörte sie Baumeister fluchen.

-- ,,Verdammt, wenn das einmal klappen würde ...''

-- ,,So schlimm ist der Schmuck jetzt auch wieder nicht ...'', verteidigte daraufhin Belle den Gärtner oder besser sich selbst, denn sie fühlte sich angegriffen. Sie war es schließlich, die den Auftrag vergeben hatte. Da half es ihr auch nichts, dass sie nur Geld hatte sparen wollte und damit einem dringenden Wunsch Baumeisters und der Firmenleitung entsprach.

-- ,,Jedesmal der gleiche Mist ...'', fährt Baumeister fort.

Belle sagt, dass es doch im letzten Jahr außer dem Preis hervorragend geklappt häte, aber Baumeister hört nicht hin, sondern fährt unbeirrt fort:

-- ,,Manchmal klappts ohne Probleme, aber heute ...'', beginnt Baumeister und wird von Belles bissiger Bemerkung für Frauke unterbrochen.

-- ,,Haben Sie denn nichts mehr zu tun, dass sie schon so früh hier erscheinen. Die Feier beginnt doch ...''

-- ,,Aber nein doch, Sie kommen wie gerufen! Schön dass Sie da sind!'', unterbricht Baumeister seine Sekrtärin.

Frauke stockt im Lauf. Sie ist geschockt von Belles bissiger Bemerkung, aber Baumeisters überschwengliche Freundlichkeit irritiert sie noch mehr. Frauke steht starr und bewegungslos, so wie man vor einer Schlange stehen sollte, die einen noch nicht als Beute erkannt hat. Gleichzeitig wirkt sie aber auch so, als warte sie nur auf ein weiteres Gefahrensignal, um dann zu fliehen. Aber dann schaut sie sich verlegen um, als hoffte Sie, dass jemand hinter ihr -- auch wenn sie weiß, dass sie alleine gekommen war -- gemeint sein könnte. Frauke schaut verlegen auf die Uhr und weist darauf hin, dass es doch schon Viertel vor fünf sei.

-- ,,Zwanzig Minuten vor Fünf!'', korrigiert sie Belle und empfängt dafür einen strafenden Blick ihres Chefs.

Mit gespielter Freundlichkeit wendet sich Baumeister an Frauke. Er müsse schnell mal ein wichtiges Telefonat führen, und könne sich deshalb nicht mehr um die Technik kümmern. Sie könne doch sicherlich alles für den Vortrag vorbereiten.

Frauke eilt geflissentlich zu ihm, murmelt aber vor sich hin, aber nicht laut genug für Baumeister, dass sie selbst gar keinen Laptop habe und mit Beamer keine Erfahrung habe. Baumeister beachtet sie nicht mehr, sondern eilt mit gezücktem Handy, dass er wie einen Anker vor sich her trägt, aus dem Raum.

-- ,,Haben Sie eine Ahung wie das Ding funktioniert?'', wendet sich Frauke hilfesuchend an Belle, ''Es kommt kein Bild!''

Das letzte Mal habe es noch funktioniert, sagte Belle und fügte dann noch hinzu, dass sie jetzt keine Zeit habe sich darum zu kümmern. Sie könne sich ja nicht um alles kümmern. Aber für Frauke als kompetente Entwicklerin, -- ein Lob, was beinahe abschätzig aber auf jeden Fall wie eine Drohung klang -- sei es doch sicher kein Problem, so ein simples Teil anzuschließen. Sie verschwieg nicht nur, dass ihr Chef, es auch nicht geschafft hatte, sondern sagte sogar noch, dass Frauke ansonsten halt warten müsse, bis ihr Chef wieder käme. Der wüsste schließlich noch wie man mit Computern umgehe. Frauke wusste auch nicht, dass Baumeister in fast jeder Besprechung, in der er das Gerät benutzt, Hilfe brauchte.

Cedrik schüttelt den Kopf, als ihm Frauke dies auf dem Weg in der Toskana erzählt. Der Weg ist breiter geworden und führt nun schnurgerade aber mit mäßiger Steigung nach oben. In der Ferne können Sie Gumbrecht, Sylvia und Burbacki sehen. Burbacki hatte schon nach kurzer Zeit Gardas Tempo nicht mehr mithalten können und war zurückgefallen. Cedrik sagt, dass er sich nun sehr wundere. Bisher habe er immer gedacht, dass die Bedienung eines Beamers und einer Präsentation zu den wenigen Tätigkeiten gehöre, die so ein Typ wie Baumeister beherrsche. Ob er nicht ein wenig zu streng mit ihm sei, fragt ihn Frauke lachend. Wie könnte er zu streng sein, fragt Cedrik verwundert. Ein Entwicklungsleiter, einer deutsch-französischen Firma, der kein Französisch könne, das sei doch lächerlich. Das finde sie jetzt nicht so schlimm, schränkt Frauke ein, schließlich würde man sich mit den französischen Kollegen eh in Englisch unterhalten. Cedrik schüttelt wieder den Kopf und fragt sie, ob sie Baumeister schon einmal habe Englisch reden hören.

-- ,,Das schlimme ist, dass er glaubt, er könne es gut. Seine Aussprache ist katastrophal. Viele Wörter spricht er einfach deutsch aus. Wenn er ein Wort nicht weiß, -- und das ist allzu häufig der Fall -- dann streut er einfach das deutsche Wort ein. ...Jacques Courvier, mit dem ich vor ein paar Monaten in Frankreich zusammen gearbeitet hatte, spricht super Deutsch, und er glaubte, dass er sich mit Baumeister die ganze Zeit auf Deutsch unterhalten habe. Aber das Witzige ist, dass Baumeister glaubt, er selbst habe die ganze Zeit Englisch geredet. ...Wie konnte so einer Entwicklungsleiter werden? Seine mangelnden Sprachkenntnisse sind ja schon schlimm genug, aber der hat auch überhaupt keine Ahnung von Softwareentwicklung. Ich frage mich, wie man so bescheuert sein konnte einen E-Techniker, der sich im Studium noch nicht einmal mit der Hardware von Computern sondern mit Hochfrequenztechnik befasste, zum Entwicklungsleiter einer Firma machen konnte, die sich in erster Linie mit Software- und Algorithmenentwicklung beschäftigt. Was Mathematik und Informatik betrifft ist der eine glatte Null. Der hat in seinem Leben noch nicht einmal ein kleines Programm geschrieben.'', sagt Cedrik.

-- ,,Dem traue ich es noch eher zu, als Wolff!''

-- ,,Ich wage kein Urteil, wer von den beiden blöder ist!'', sagte Cedrik lachend.

-- ,,Auf jeden Fall ist Baumeister von Wolffs Fähigkeiten überzeugt!''

Dann wollte Cedrik von Frauke wissen, ob sie den Beamer habe anschließen können.

-- ,,Du zweifelst daran, dass ich das geschafft habe?'', fragte Frauke mit gespielter Entrüstung.

Während sie mit der Technik beschäftigt gewesen war, hätten sich beide Flügel der Schwingtüre zum Saal geöffnet und Dr. Wolff habe effektvoll mit einem großen Strauß roter Rosen den Raum betreten, dicht gefolgt von Lutz Willach.

Belle habe sofort in gespielter Rührung geflötet, wie außerordentlich aufmerksam, das von ihm sei, ihr Rosen mitzubringen. Es wäre aber nicht nötig gewesen, hatte sie gesagt und gleich hinzugefügt, um klar zu machen, dass es doch nötig war:

-- ,,Wenigstens einer der meine Arbeit zu würdigen weiß!'', dabei schaute sie ihren Chef kritisch an.

Für seine Frau seien die Rosen gewesen, erklärt Frauke Cedrik in der Toskana. Aber Wolff habe blitzschnell reagiert und die Gunst der Stunde genutzt. Wie ein Don Giovanni sei er auf sie zugeeilt und habe ihr die Blumen galant überreicht. Zu seiner Frau sei er nachher mit leeren Händen gekommen, außerdem noch mit Verspätung, auch wenn er die Weihnachtsfeier schon vor Acht verlassen hatte. In manchen Ehen könne so etwas zu einer Scheidung führen, sagte Frauke verbittert, so als hätte sie es sich im Fall Wolff gewünscht.

-- ,,Bloß wegen vergessener Rosen zum Hochzeitstag? Ich glaube, mein Vater hat meiner Mutter noch nie etwas zum Hochzeitstag geschenkt. Und die führen eine gute Ehe, denke ich.''

Es wären nicht nur die Rosen. Er könne sich gar nicht vorstellen, was die sich alles von ihrem Mann gefallen ließe. Jede andere Frau hätte Wolff sicherlich schon verlassen. Sylvia habe ihr einiges erzählt, sagte Frauke, nachdem Cedrik sie skeptisch gefragt hatte, woher sie denn das alles so genau wisse. Dabei sei sie eine intelligente Frau, ausgesprochen gutaussehend. Sie könne nicht verstehen, dass sie überhaupt Wolff geheiratet habe.

Aber einen dicken Ehekrach wegen der Rosen hätte es, wie er Sylvia gesagt habe, dennoch gegeben wegen der Rosen, sagte Frauke.

-- ,,Ein Rosenkrieg!'', sagte Cedrik.

Sie könne sich gut vorstellen, wie Wolff nach Hause gekommen sei. An ihrem Hochzeitstag ohne Rosen oder irgendein anderes Geschenk, sagt Frauke. Aber für Wolff natürlich kein Grund für Bedauern oder Entschuldigungen. Begeistert erzählt er ihr im vollen Bewusstsein, dass sie ihn dafür noch loben müsste, dass ihm ein cleverer Schachzug gelungen sei. Er habe nun zwar leider keine Rosen mehr für sie, aber immerhin habe er bei der Chefsekretärin wahnsinning gepunktet. Seine Frau sieht natürlich ebenso wie Frauke nur die attraktive Frau und nicht die einflussreiche Vorzimmerdame des Entwicklungsleiter, und sie hört auch nicht mehr die Erklärungen ihres Mannes, dass dieser klevere Schachzug seiner weiteren Karriere sehr dienlich sei.

Cedrik wendet ein, dass dies doch eher der Karriere schädlich sein könne. Man munkele doch, dass Baumeister und die Belle etwas miteinander hätten. Da könne man sich doch nur Baumeisters Zorn auf sich ziehen, wenn man mit seiner Geliebten flirte.

Frauke zuckt mit hochgezogenen Augenbruauen mit den Schultern und entgegnet, dass solche Gerüchte doch normal seien. Eine attraktive Sekretärin und ein mächtiger Cheff, da vermuten die meisten sofort, dass was laufen müsse.

-- ,,Die vier Ms! Macht macht Männer männlich!'', entgegnet Cedrik, ,,Wie im Tierreich. Die Weibchen paaren sich am liebsten mit den Leittieren. Im Tierreich macht es ja auch noch Sinn. Dort schaffen es nur die stärksten, schnellsten und körperlich Tiere der jeweiligen Art an die Spitze. Aber bei uns ist das etwas ganz anderes. Reichtum ist zufällig verteilt. Hat nichts mit ...''

-- ,,Meistens haben Reiche aber dafür auch etwas geleistet!'', wendet Frauke ein.

-- ,,Was ist mit denen, die reich geboren werden? Alles nur erben?''

-- ,,Die vielleicht nicht, aber ...''

-- ,,Und die anderen waren meist zur richtigen Zeit am richtigen Platz!''

-- ,,Und waren klever genug dies zu erkennen!''

Wie dem auch sei, sagt Frauke, sie könne sich jedenfalls sehr gut vorstellen, wie Wolffs Frau getobt haben musste. Hätte sie selbst an deren Stelle auch gemacht.

Sie habe ihn nicht richtig verstanden, hätte sich Wolff wahrscheinlich gewehrt, malte Frauke den mutmaßlichen Streit weiter aus.

-- ,,Und ob! Ich habe verstanden, dass du einer der attraktivsten Frauen der Firma Rosen geschenkt hast!'', und dann lässt Frauke Wolffs Frau sogar brüllen: ,,Meine Rosen! Zu unserem Hochzeitstag!''

Er habe ihr die Rosen geben müssen, versuchte Wolff gegen ihre Wut anzugehen. Habe er denn eine andere Wahl gehabt? Sie hätte doch sofort geglaubt, dass die Rosen für sie seien. Sie könne sich gar nicht vorstellen, wie sehr sie sich gefreut hätte.

-- ,,Und du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich gefreut hätte und vor allen Dingen, wie sauer ich jetzt bin!''

-- ,,Was hätte ich denn tun sollen? Hätte ich sie ihr nicht gegeben, hätte ich sie mir zur Feinding gemacht! Die Sekretärin des Entwicklungsleiters als Feindin!''

-- ,,Blödsinn! Du bist auch nur einer von den geilen Böcken, die ihr zu Füßen liegen?'', giftete seine Frau.

-- ,,Also so schön ist sie nun auch wieder nicht!''

-- ,,Schön genug, dass du ihr meine Rosen schenkst!''

-- ,,Ich habe es dir doch gerade erklärt. Was hätte ich tun sollen, sie glaubte doch sofort, dass die Rosen für sie seien.''

-- ,,Die Frage ist, wieso sie so etwas überhaupt für möglich hält. Da musst du ihr schon vorher schöne Augen gemacht haben!''

Zu Wolff hätte auch folgende Ausrede gepasst, sagte Frauke:

-- ,,Wahrscheinlich dachte die gar nicht, dass die von mir ...also ich meine von mir privat seien, sondern von der Abteilung oder so, und ich sie nur überreichen musste ...''

Einen Moment schien es, dass sie sich beruhigt

-- ,,Dieser Zicke hast du MEINE Rosen gegeben!''

-- ,,Ich hab's dir doch schon erklärt. Was hätte ich denn tun sollen?'

-- ,,Ihr sagen, dass die für deine Frau sind, zum Hochzeitstag!''

-- ,,Aber dann hätte ich sie brüskiert. Vor allen Leuten ...''

-- ,,Aber mich kannst du brüskieren? Das macht nichts aus?''

-- ,,Aber hier ist doch niemand!''

-- ,,Niemand! Ich bin niemand! ...''

-- ,,So meinte ich das doch nicht ...Es tut mir ja leid, aber es ist doch nicht so, als hätte ich den Hochzeitstag vergessen ...''

-- ,,Das ist schlimmer als vergessen! Einer fremden Frau Rosen am Hochzeitstag schenken!''

-- ,,Ich habe sie ihr doch nicht geschenkt, weil ich irgendwelche ...ich meine, es ging doch rein um die Firma!''

-- ,,Erzähl' mir nichts! Als ob du ...''

Warum er ihr nicht wenigstens neue Rosen gekauft habe. Und er antwortete, dass er doch keine Zeit gehabt hätte, dann wäre er doch noch später gekommen. Eher gehen hätte er müssen, ganz einfach sei das. Von ihrem Schoß sei er nicht los gekommen, zetert sie.

-- ,,Ein wenig mehr Verständnis für meine Karriere könntest du schon zeigen!'', schmollte Wolff.

-- ,,Und du ein wenig für unsere Beziehung! ...Karriere hin oder her. An unserem Hochzeitstag hättest du überhaupt nicht dort hingehen müssen. Wärst du direkt nach Hause gekommen, hätte es diesen Rosenkrieg erst gar nicht gegeben.''

-- ,,Aber ich verstehe immer noch nicht!'', sagte Cedrik, der ein wenig schneller ging, damit sie den Anschluss zu den anderen nicht ganz verlören, ,,Wolff hat doch doch nichts getan, was dich ...ich meine, dass war doch nur lustig oder komisch, beziehungsweise peinlich für Wolff.''

Das peinliche wäre erst danach gekommen, erklärte ihm Frauke. Sie habe alles mögliche mit dem Laptop und dem Beamer versucht. Sie habe auch die Kabelverbindungen geprüft, aber das verfluchte Ding habe nicht funktioniert. Dann sei Baumeister wieder in den Raum gekommen, habe sie erwartungsvoll gefragt, ob alles laufe und sie habe nur ein verlegenes ,,noch nicht'' von sich gegeben. Wo denn das Problem liege, habe Baumeister gefragt, so als könne es doch wohl kein Problem geben, so hätte vorher bei ihm alles geklappt.

-- ,,Lassen sie mich mal ran!'', drängte sie nun der rosenlose Wolff an den Beamer.

-- ,,Stell dir vor!'', sagte Frauke zu Cedrik, ,,Der wackelte nur am Kabel und plötzlich funktionierte alles! Für seinen Kommentar hätte ich ihn auf der Stell umbringen können: `Da muss nur der richtige MANN kommen' Da war alles gesagt. Seiner Meinung nach war ich dumm und als Frau sogar doppelt dumm!''

-- ,,Ich kann deinen Ärger verstehen!'', tröstete sie Cedrik, ,,aber andere geben auch ständig so'nen Stuss von sich ...''

-- ,,Ja, wenn das das Einzige wäre, aber es gibt noch anderes, Schlimmeres ...''

Ein anderes Mal, als sie in Urlaub war, habe er sie während seines Urlaubs bei Baumeister angeschwärzt. Wolff hatte recht, wenn er behauptete, dass sie ihre Arbeit nicht termingerecht vor dem Urlaub fertiggestellt hatte, dass sie also, obwohl andere darauf warteten in Urlaub gefahren war. Was Wolff aber verschwieg, war die Tatsache, dass sie es gar nicht hätte tun können, weil ihr der Input von Wolff gefehlt hatte oder genauer gesagt von Brandner einem Mitarbeiter seines Teams. Sie hatte die Arbeiten bei Wolff angemahnt, aber dieser hatte es geflissentlich ignoriert, sagte Frauke zu Cedrik. Scheinheilig habe er in einer Besprechung, an der Baumeister teilnahm, gesagt, er könne nicht verstehen, dass jemand so verantwortungslos handeln könnte. Einfach in Urlaub zu fahren, wenn andere dringend auf die Ergebnisse warteten.

Cedrik konnte ihren Ärger nachvollziehen. So sehr, dass er sogar spürte, wie er die Fäuste zusammenballte, wie sich sein Puls beschleunigte, als hätte er es gerade erlebt. Seine Wut kam vor allem auch daher, dass er sich allzu plastisch vorstellen konnte, dass Wolff auch ihn so bloß gestellt hätte. Das war seine Art. Dennoch hatte Cedrik das Gefühl, dass Frauke noch einen weiteren Grund für ihre Aversion gegen Wolff haben musste. Etwas musste er getan oder von sich gegeben haben, was ihr viel tiefer unter die Haut gegangen war.

-- ,,Es war noch viel schlimmer. ...Wolff hatte verschwiegen, dass er mich vor dem Urlaub gebeten hatte, kein großes Tamtam zu machen. Ich solle das jetzt bloß nicht an die große Glocke hängen. Er werde mit Brandner reden, der könne ihren Part mit übernehmen und sie könne beruhigt in Urlaub fahren. Wenn sie zurückkäme, wäre alles fertig.''

-- ,,Also das ist natürlich wirklich eine ausgesprochene Sauerei. Kann ich verstehen, wenn du dafür einen Hass auf ihn hast ...''

-- ,,Aber das ...das ist es nicht, dass ist nicht der eigentliche Grund. Dagegen konnte ich mich wehren. Ich ging zu Baumeister, habe es ihm erklärt. Dann ging ich zu Wolff habe ihn angeschrien, wie ich es noch nie getan habe. Dann ging es mir besser. ...Aber es gibt Verletzungen gegen die kann man sich nicht wehren. Die sitzen wie Angelhaken. Wenn du dich wehrst also dran ziehst, dann reißt der Haken nur tiefer ins Fleisch. ...Der Fischer hat dich in der Hand. ...''

Cedrik wartete, dass sie fortführe, aber sie wurden von Sylvia gestört. Sie hatte sich von der vorderen Gruppe losgelöst und auf sie gewartet. Sie legte, als wären sie alte dicke Freunde ihren Arm um Cedrik und schob sich gleichzeitig zwischen Frauke und Cedrik.

-- ,,Na, darf man unser Liebespaar einmal stören?'', fragte Sylvia. ,,Ich habe das Gespräch da vorne nicht mehr ausgehalten!

Nachdem Sylvia die Irritation, die ihre Frage bei Frauke und Cedrik ausgelöst hatte, genügend ausgekostet hatte, begann sie über Gumbrechts und Burbackis Unterhaltung zu spötteln. Burbacki war entsetzt, so als habe Gumbrecht ihn persönlich beleidigt, als Gumbrecht Krawattennadel statt Krawattenspange sagte. Eine Krawattennadel diene zum zusammenhalten der Krawatte und werde durch den Knoten gesteckt. Man benutze sie vor allem auch bei Krawattenschals. Burbacki habe von seiner neuesten Errungenschaft geschwärmt: Eine antike silberne Nadel mit blauer Bourbonen Lilie. Sündhaft teuer sei sie gewesen und damit keiner lange rätseln musste, nannte er gleich den Preis. Knapp 400 Euro sei eigentlich ein richtiges Schnäppchen gewesen für so ein erlesenes Stück. So was bekomme man nicht im Kaufhaus. Er könne von Glück sagen, dass er sie im Hoteltresor gelassen habe. Wer weiß, was hier in der Wildnis damit passiert wäre.

-- ,,Jetzt haben wir wohl Frauke verscheucht?'', fragte Sylvia, nachdem sie sich umgedreht hatte und gesehen hatte, dass Frauke außer Sichtweite war.

-- ,,Was heißt hier `wir' '', sagte Cedrik und versuchte dabei nicht allzu anklagend zu wirken.

-- ,,Tut mir Leid!'', sagte Sylvia.

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander.

-- ,,Ist schon okay!'', sagte Cedrik.

-- ,,Dir ist ja klar, dass Frauke verheiratet ist?'', sagte Sylvia.

-- ,,Ist doch allgemein bekannt in der Firma und außerdem, wir haben nichts gemacht, was ihren Mann stören könnte!''

-- ,,Noch nicht!'', sagte Sylvia und Cedrik konnte ihr ansehen, dass sie das nicht scherzhaft meinte.

-- ,,Sie redet fast nie über ihren Mann. Ist dir das schon mal aufgefallen? ...Im Prinzip redet sie nie etwas Persönliches? ...'', dann stockte Sylvia, als sie Cedriks Gesichtsausdruck gesehen hatte ,,Mit dir vielleicht ...jetzt in der Toskana. Aber in der Firma ist es so, als habe sie kein Privatleben.''

-- ,,Ich weiß, was du meinst!'', sagte Cedrik.

-- ,,Ihren Mann hält sie in der Firma unter Verschluss ...unter gelben Kordeln.''

-- ,,Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst?''

-- ,,Hast du dieses Schmuckschatulle auf ihrem Schreibtisch gesehen? Die, die aussieht wie ein kleines Buch. Dort steckt sie morgens das Standbild ihres Mannes hinein, Deckel drauf und verknotet es mit einem Schleifchen.''

-- ,,Versteh' ich nicht?''

-- ,,Ich auch nicht. Jeden Tag die gleiche Zeremonie!''

-- ,,Woher weißt du das so genau?''

-- ,,Ich habe es schon zweimal miterlebt. ...Aber das merkwürdigste ist, dass sie am Abend -- immer als letzte Tätigkeit, kurz bevor sie geht -- das Bild aus dem Kästchen nimmt und es sorgsam auf dem Schreibtisch positioniert. So wie andere das Bild ihres Liebsten während des Tages auf dem Schreibtisch stehen haben.''

© Bernd Klein