Ein Ziel und kein Weg

-- ,,Manchmal ist das Naheliegende nicht das Nächste!'', hatte Garda gerade bemerkt, als sie und die anderen zusammenzuckten und im Falle von Burbacki und Sylvia sogar aufschrieen.

Ohne dass sie sich abgesprochen hatten, waren Frauke, Cedrik und Gumbrecht im Schutz der Büsche und Bäume unhörbar für die anderen herangeschlichen.

Zuerst erschrak die Gruppe um Garda, weil plötzlich und unerwartet etwas lautstark aus dem Gebüsch auftauchte. Aber auch als klar war, dass es sich um die restlichen Mitglieder des Seminars handelte, gab es vor allen für Wolff und Willach keine Entspannung. Ihnen war mit einem Schlag bewusst, dass die anderen alles verstanden haben mussten, was sie über sie gelästert hatten.

-- ,,Schön, dass Sie nun auch hier sind!'', sagte Garda, die als erste ihre Fassung wieder gefunden hatte. ,,Wir haben schon angefangen die Lösungsansätze der Aufgabe zu diskutieren.''

-- ,,Wir sind als erstes hier angekommen! Also gibt uns der Erfolg recht!''

-- ,,Und vor langem! Wir hatten schon Zeit, ausgiebig zu diskutieren!'', sagte nun Wolff, als hätte er nie über die anderen gelästert.

-- ,,Und über die anderen herzuziehen!'', giftete Frauke.

-- ,,Man wird doch mal Scherze machen dürfen!'', sagte Wolff.

-- ,,Auch wenn Knaben nur aus Spaß Steine nach Fröschen werfen, sterben die Frösche nicht aus Spaß!'', zitierte Gumbrecht.

-- ,,Also gestorben ist hier noch keiner!'', spottete Wolff.

-- ,,Noch nicht!'', sagte Frauke.

-- ,,Kommen wir doch vielleicht lieber zu unserem Thema zurück!'', beschwichtigte Garda, ,,Hätten sie den Weg flussabwärts statt flussaufwärts gewählt, wären sie schon lange hier. Also ich meine vor den Flossbauern!'', sagte Garda.

-- ,,Wollen sie etwa sagen, dass es dort gleich eine Brücke gibt!'', fragte Frauke ungläubig.

-- ,,Genau das!''

-- ,,Aber wir haben genau das gemacht, was von uns verlangt worden war!'', wehrte sich Willach unter dem zustimmenden Nicken von Wolff.

Vor allen Dingen mache er doch immer genau das, was Wolff von ihm verlange, flüsterte Frauke zu Cedrik. Wie ein Schoßhündchen laufe er ihm nach, vergöttere ihn.

-- ,,Und was war bitte genau ihre Aufgabe?'', fragte Garda in siegesbewusster Mine.

-- ,,Wir sollten ein Floss bauen und den Fluss überqueren!'', entgegnete nun Wolff.

-- ,,Falsch! Wir wollten uns hier, also auf dieser Seite des Flusses treffen!''

-- ,,Haben wir doch gemacht!'', sagte Willach daraufhin.

-- ,,Und wir waren die Ersten!'', sagte Burbacki.

-- ,,Ja, aber was unsere Kursleiterin eigentlich sagen wollte war, dass sie den Weg zur Überquerung nicht vorgeschrieben hatte!'', korrigierte ihn Frauke.

-- ,,Das ist Haarspalterei! Sie führte uns genau zu der Stelle, wo das ganze Material für ein Floß herumlag. ...Und weit und breit gab es keine Brücke!'', wehrte sich Willach.

-- ,,Gab es, sonst wären wir nicht hier!'', sagte Cedrik.

-- ,,Und flussabwärts, wie wir eben gehört haben sogar eine noch näher gelegene!''

-- ,,Und die leeren Ölfässer haben sie extra ans Ufer gelegt, um uns auf die falsche Fährte zu hetzen?'', fragte Wolff verärgert.

-- ,,Nicht ganz richtig, denn die Fässer waren schon da, aber ich habe sie extra zu den Fässern gehen lassen! ''

-- ,,Wie in der Realität. Dort ist ja auch nicht immer das scheinbar Naheliegendste auch das Richtige!'', wiederholte Gumbrecht Gardas Spruch in anderen Worten.

-- ,,Sie hatten doch nur Angst gehabt sich nasse Füße zu holen. Da haben Sie sich lieber Blasen gelaufen!''

Garda schaltete sich wieder vermittelnd ein. Sie habe mit ihnen ein Ziel vereinbart und keinen Weg. Der Weg sei sekundär. Wichtig sei, dass sie her gefunden hätten. Sie seien aber lange vor den anderen da gewesen, begehrte daraufhin Wolff auf. Das müsse man doch auch berücksichtigen. Sie seien effizienter in der Umsetzung gewesen.

-- ,,Wenn es um einen Kundenauftrag gegangen wäre, dann wäre das entscheidend!'', sagte Willach.

-- ,,Wer zuerst kommt malt zuerst!'', mischte sich nun auch Sylvia ein.

Garda bedankte sich überschwenglich für diese äußerst konstruktiven Beiträge.

Immerhin hätten sie sofort mit dem Bau des Flosses angefangen, während andere nur mathematische Luft abgelassen hätten.

-- ,,Haben Sie in der Zwischenzeit eine Lösung zu meinem Rätsel gefunden?'', fragte ihn Gumbrecht daraufhin ungerührt.

Während die anderen darüber nachgedacht hatten, wie sie am besten den Fluss überqueren könnten, hatte Gumbrecht ihnen ein Rätsel gestellt. Drei Erwachsene mit zwei Kinder wollten einen Fluss überqueren. Dazu stünde ihnen aber nur ein kleines Ruderboot zur Verfügung. In diesem könnten aber gleichzeitig nie mehr als ein Erwachsener aber bis zu zwei Kindern befördert werden. Wie viele Flussüberquerungen wären notwendig?

Cedrik hatte eingewandt, dass das Floss wohl zu klein werden würde, um alle aufzunehmen. Man müsse dann wohl mehrmals fahren und wer dann wann und mit wem fahre sei egal.

Da könnten sie mal sehen, wie praxisrelevant sein Rätsel sei, hatte Gumbrecht daraufhin triumphiert. Der Trick liege darin, dass zuerst zwei Kinder rüberfahren müssten, und dann eines alleine zurück führe. Danach führe ein Erwachsener, der dann auf der anderen Seite bliebe und das zweite Kind führe dann mit dem Boot zurück. Das bedeute, dass man vier Fahrten brauchte, um einen Erwachsenen hinüber zubringen. Für eine beliebe Anzahl von Erwachsenen n mit zwei Kindern benötige man also n Mal 4 Fahrten plus eine zusätzliche Fahrt für die beiden Kinder.

-- ,,Müssen es unbedingt Kinder sein, oder können wir mit der ersten Fuhre zwei Kindsköpfe losschicken?'', hatte darauf Sylvia herzhaft lachend gefragt.

Burbacki wollte wissen, wie oft man fahren müsse, um den Fluss zu überqueren. Habe er doch erklärt, sagte Gumbrecht. Dreizehnmal. Er meine doch nicht das Rätsel, protestierte Burbacki.

-- ,,Wie oft müssen wir über diesen Fluss und mit unserem Floss fahren?''

-- ,,Wenn nur einer auf das Floss passt, undendlich oft!'', antwortete Cedrik auf Burbackis Frage.

-- ,,Oder man lässt es gleich bleiben!'', führte Gumbrecht Cedriks Gedanken weiter aus.

-- ,,Mit einem Seil könnte man das Floss zurückziehen!'', sagte Willach.

Ob er irgendwo ein Seil sehe, fragte ihn daraufhin Gumbrecht. Daraufhin hatte sich Willach an die Arbeit gemacht. Durch die endlose Diskussion kämen sie nie zu einem Floss und die anderen sollten besser mit anpacken.

Ein Floss zu bauen, könne nicht die Lösung sein, sagte daraufhin Gumbrecht. Das könne ewig dauern.

-- ,,Vor allen Dingen nicht, wenn man sich und andere mit unnötigen Rätseln aufhält, statt bauen zu helfen!'', hatte Willach eingewandt.

-- ,,Der ist von Wollf aufgehetzt! Jetzt klingt Willach schon genau so wie Wolff'', flüsterte Cedrik.

© Bernd Klein