Urin in Amphoren

Schon von weitem, als Cutu sich langsam Stenia näherte, hörte er sie schimpfen. Sie stand bei einer anderen Frau, deutlich älter als sie. Ob er es denn nichts rieche, fragt sie dann Cutu als Antwort auf seine Begrüßung. So als sei er ein alter Bekannter und als habe er die ganze Zeit bei der Unterhaltung dabeigestanden und wisse worum es ging. Sie hätten zuerst an diesem Ort gewohnt, dann sei dieser Schmutzwäscher aufgetaucht, sagte sie mit vor Ekel verzerrtem Gesicht. Tag und Nacht müsse sie den ekelerregenden Gestank nach Amoniak und Urin ertragen.

-- ,,Warum musste der gerade hier sein Geschäft aufmachen, direkt vor unserem Hof!''

Cutu wunderte sich, denn der penetrante Gestank von Pferde und Rindermist ihres eigenen Hofes überlagerte alle anderen Gerüche. Selbst die empfindlichste Nase könnte darin keinen menschlichen Urin herausreichen. Selbst als Cutu noch bei Abdanitu, dem Objekt ihres Hasses gestanden hatte, roch Cutu bereits den Gestank des Hofes, aber dort vermischt mit den Ausdünstungen von verfaultem Urin und Ammoniak, die eindeutig von Abdanitus Anwesen herkamen. Abdanitu, den sie meist nur geringschätzig als den ,,Kathager'' bezeichnete, stammt in Wirklichkeit von der von Karthagern dominierten Insel Ichnoussa, die von den Griechen auch wegen ihrer an einen Fußabdruck erinnernden Form Sandalyon genannt wurde. Heute ist die Insel unter dem Namen Sardinien bekannt. Abdanitu betrieb eine Färbe und Wäscherei. Ein Gewerbe, welches in dieser Zeit mit Gestank einherging. Abdanitu, der gerade vor seinem Geschäft gestanden hatte, als Cutu kam, hatte ihn überaus freundlich begrüßt gehabt, aber als er ihn nach dem Haus von Sethre Unata gefragt hatte, hatte sich sofort seine Mine verdunkelt. Verächtlich hatte er mit seiner Hand auf die keifende Frau gezeigt und gesagt, dass sei Stenia, Sethres Frau. Eigentlich könne die ja nichts für ihren Mann. Aber ihm gönne er eine solche Frau. Ob er ein Freund von Sethre sei, wollte er wissen. Cutu fand, dass sein lauernder Gesichtsausdruck bedrohlich wirkte. Wäre Cutu ein Freund Sethres gewesen, hätte er sich sicherlich nicht getraut es ihm unverblümt zuzugeben. Er kenne ihn noch nicht einmal, beeilte sich Cutu unumwunden ihm mitzuteilen. Dann werde er ihn kennenlernen, hatte Abdanitu daraufhin sarkastisch zu ihm auf Punisch gesagt. Abdanitu sprach die punische Variante, wie man sie auf Ichnoussa spricht. Cutu war sie sogar geläufiger als das Punisch der Karthager selbst. Was er von ihm wolle, fragte Abdanitu dann wieder in Etruskisch, in seinem unverkennbaren phönizisch-punischen Akzent. Nur Lügen und Märchen könne er von seinem Nachbarn erfahren, warnte er Cutu, nachdem dieser ihm sein Anliegen geschildert hatte. Wenn Cutu auf ihn höre, könne er sich den Besuch sparen. Außerdem werde er ihn wohl eh nicht antreffen. Für die Flüche, die er dann für Sethre hatte, benutzte er wieder seine Muttersprache, denn die etruskischen, die er kannte schienen ihm nicht beleidigend genug.

-- ,,Manche kommen aus der Fremde, aber verhalten sich loyal, während andere hier geboren sind, und sich wie Feinde des Landes verhalten!''

Für Cutu gab es keinen Zweifel. Mit dem Fremden meinte Abdanitu sich selbst und mit seiner Gestik hatte er klar gemacht, dass er Sethre zu den Feinden des Landes zählte. Freiwillig würde er nicht zu ihr gehen, hatte Abdanitu ihm noch nachgerufen, als sich Cutu auf den Weg zu Sethres Haus machte, vor dem immer noch Stenia wild gestikulierend in einer Unterhaltung vertieft war.

-- ,,Die Männer!'', fuhr Stenia mit ihrem Beschimpfungsmonolog fort, ,,sind alle gleich!'', aber Cutu hatte das Gefühl, dass sie ihn dabei fragend anschaute, so als könne er die große Ausnahme sein. Die Alte nickte eifrig dazu, um zu zeigen, dass dies auch ihre Lebensweisheit sei. Sie musste Stenias Mutter sein, denn die Gesichtszüge waren zu ähnlich, als dass es Zufall sein konnte. Ein von der Sonne gegerbtes Gesicht, voller Falten und Runzeln. Aber Stenias Gesicht, zeigte bereits die ersten Siege des Alters, obwohl sie durchaus noch jugendlich wirkte.

-- ,,Die stellen sich extra so vor Abdanitus Amphoren, in denen er Urin sammelt, dass ich ihre stinkenden Dinger deutlich sehen kann. Manchmal wedeln sie damit noch in meine Richtung. Die glauben wirklich das dies mich anmachen könnte.'', fuhr sie unter dem konstanten Nicken ihrer Mutter fort.

Während sie Abdanitu und vor allem sein Gewerbe beschimpfte, betrachtete sie Cutu genau. Auf ihren Redefluss, den sie in zahllosen Gelegenheiten trainiert hatte, brauchte sie sich nicht zu konzentrieren, der wurde perfekt von ihrem Unterbewußtsein geleitet. Plötzlich hielt sie inne und sagte zu Cutu:

-- ,,Jetzt weiß ich woher ich dich kenne! Du musst der Sohn von Plecu Apatrui sein! So eine Ähnlichkeit kann kein Zufall sein.''

Ihr schlagartig aufgehelltes Gesicht, ließ sie jünger und beinahe schön erscheinen. Vorher als sie hasserfüllt und missgünstig ihren Nachbarn beschimpft hatte, wirkte sie faltig und alt. In ihrem Mund blinkte eine goldene Zahnbrücke, Zeichen des großen Wohlstandes ihrer Familie.

-- ,,Schrecklich, was mit ihm passiert ist! Und so völlig sinnlos!''

Cutu hatte das Gefühl, dass sie ihn lauernd anschaute. Sie wollte wissen, was er über seine Ermordung dachte.

-- ,,Deshalb bin ich hier! Irgendwer musste einen Vorteil gesehen haben. Ich glaube einfach nicht, dass es sich nur um die Tat eines Eifersüchtigen gehandelt haben soll.

-- ,,Und wie kann ich dir helfen?'', fragte sie ihn anscheinend ängstlich.

-- ,,Eigentlich wollte ich deinen Mann sprechen!''

-- ,,Der ist nicht hier!''

-- ,,Wann kommt er wieder?''

-- ,,Das wüsste ich auch gerne. Seit der Ermordung von Plecu ist er verschwunden!''

-- ,,Das heißt, dass er auch etwas mit der Ermordung zu tun hatte?''

Nach seiner Frage schaute sie sich misstrauisch um, vor allem auch in Richtung von Abdanitus Anwesen. Aber Abdanitu stand nicht mehr auf der Straße. Wahrscheinlich war er wieder im Innenhof bei der Arbeit. Er solle ihr ins Haus folgen und bevor sie die Haustüre schloss, kämmte sie nochmals die Umgebung ab. Aber außer ihrer Mutter, die sich Richtung Stallungen bewegte, war niemand weit und breit zu sehen.

© Bernd Klein