-- ,,Ich kann halt schlecht nein sagen!'', sagt Frauke scherzend und rutschte dabei unruhig auf dem Ledersofa hin und her.
-- ,,Das heißt, du wolltest wirklich zu ihm?'', fragt sie Cedrik mit einem gequälten Gesichtsausdruck, so als sei eine Welt in ihm bereit zusammenzubrechen, wenn sie es bejahte.
-- ,,Blödsinn! ...Ich war nur so überrascht von seiner Dreistigkeit, dass mir die Worte fehlten.''
Kaum war auch Sylvia gegangen und Cedrik mit Frauke alleine, hatte er unverzüglich die Unterhaltung wieder auf sein bizarres Erlebnis mit Wolff gelenkt. Die beiden befinden sich in der kleinen Hotelbar mit einer langen Theke und ein paar kleinen niedrigen Salontischen, um die kleine Ledersessel gruppiert sind. Ihr Tisch ist der einzige mit einem gemütlichen Sofa. Nach dem üppigen Abendessen im Anschluss an den ersten Seminartag hatte sich der größte Teil der Gruppe in diese Hotelbar begeben. Eigentlich alle außer Garda, denn die war bereits direkt nach dem Seminar nach Hause gegangen. Sie war auch beim Abendessen nicht mehr anwesend gewesen.
Das Restaurant wirkte wie ein Fremdkörper oder besser eine Perle in dem modernen riesigen auf Funktionalität getrimmten Hotel. Es war hergerichtet wie eine traditionelle Pizzeria, die einem erfolgreich das Gefühl suggerierte, sie befände sich in einem malerischen toskanischen Bergdorf, in einem alten Steinhaus und sei für die Einheimischen und nicht für die Touristen entstanden. So konnte man träumen, wenn man sich die anderen Gäste nicht zu genau anschaute und wenn man nicht auf die vorherrschende Sprache achtete. Selbst die Bedienungen schienen des Deutschen ebenso mächtig wie des Italienischen.
Als Sylvia und Frauke zu Beginn bedauerten, dass Garda nicht mit ihnen gegangen sei, fanden sie allgemeine Zustimmung. Aber man konnte es verstehen. Es war ihr Job. Ging sie mit jeder Gruppe abends auch noch essen, hätte sie zwölfstündige Arbeitstage. Außerdem wäre das Essen für sie sicherlich nicht kostenlos wie für die Kursteilnehmer. Aber es bedurfte nur eines einzigen Satzes von Gumbrecht, dass alle außer ihm selbst erleichtert waren, dass sie nicht mitgekommen war.
-- ,,Wirklich schade, denn ich hätte noch ein paar interessante Fragen an sie gehabt!'', hatte er mit einem leidend wissbegierigen Gesichtsausdruck gesagt.
Keinem mangelte es an Vorstellungskraft, sich diese Gumbrechtschen Stimmungskiller-Fragen vorzustellen. Als ob sie eine Regieanweisung erhalten hätten, starteten nach Gumbrechts Anmerkung alle mit einer nahtlosen Diskussion über harmlose Themen wie Wein und Küche Italiens. Manchmal redeten gar mehrere gleichzeitig. Sagten, dass man in Italien wegen der Qualität der Trauben anders als in Deutschland keinen Zucker dem Wein hinzugeben müsse oder dass die italienische Küche häufig verkannt werde, dass sie weit mehr sei als nur Pizza und Spaghetti. Alle redeten beinahe gleichzeitig, um Gumbrecht keine Lücke zu lassen. Dennoch machte Willach einen schweren Fehler, als er sagte, dass man die Toskana nicht mit Italien gleichsetzen dürfen. Die Toskana sei viel kultivierter, als der Rest Italiens. Da sich für Willach, Kultur in erster Linie im Essen ausdrückte, sagte er folgerichtig, dass es deshalb in der Toskana auch die beste Küche gäbe. Gumbrecht hatte nun sein Stichwort erhalten. Cedrik versuchte zwar unverzüglich das Thema wieder in die alten Bahnen zu lenken, indem er bewusst provokant formulierte, dass Deutschland doch gar kein geeignetes Weinanbaugebiet sei. Nicht sonnig genug, da liefe halt nichts ohne künstlichen Zucker. Erfahrungsgemäß würde sich, so hoffte er, eine heftige halbtrocken, trockene Weindiskussion entzünden, in deren Verlauf Gumbrecht keine Chance gelassen würde. Aber Gumbrecht war für die nächste viertel Stunde nicht mehr zu bremsen gewesen. Toskana und Kultur, dass war für ihn die Brücke zu den Etruskern.
Aber dann hatte das Schicksal oder Gumbrecht doch mit ihnen Erbarmen gehabt, denn er verabschiedete sich schon vor dem Nachtisch. Er habe keine Lust mehr auf etwas Süßes und außerdem warte ein äußerst interessantes Buch in seinem Zimmer auf ihn, entschuldigte er sich mit einem hintergründigen Lachen, als handele es sich dabei in Wirklichkeit um ein romantisches Rendezvous. Bei Gumbrecht war es jedem sofort klar, dass es wirklich nur um ein Buch gehen konnte, und außerdem waren sich alle sicher, dass es sich noch nicht einmal um ein romantisches oder erotisches Buch sondern um ein Fachbuch handeln würde. Eines was alle anderen als Strafe empfänden, wenn sie es lesen müssten. Entweder mathematisch oder ein historisches über Rom oder die Etrusker.
Auch Burbacki hatte ein unruhiges Essen verbracht, denn sein Handy begann immer öfter in seiner Hose zu vibrieren. Zu Beginn des Essens hatte er sein Gerät deutlich sichtbar für alle auf dem Tisch plaziert. Sein neuestes Modell hatte ein in Burbackis Ansicht zu faszinierendes Design, um es in der Hosentasche zu verstecken. Noch bevor das Essen serviert wurde, hatte sich Burbackis Handy mehrmals in verschiedenen ausgefallenen und lauten Klingeltönen gemeldet. Dabei vibrierte und hüpfte es auf dem Tisch. Besonders stolz war er auf seinen neuesten Klingelton, den Titelsong des neuesten James Bond 007. Allerdings nur solange bis Lutz Willach sarkastisch fragte, -- als Burbacki wiedermals die Melodie gnadenlos ausspielen ließ, statt ein Gespräch anzunehmen, -- ob man sich denn mit so einem Klingelton auch wie ein James Bond fühle. Dabei blähte Willach seinen massiven Brustkorb auf und streckte seine Arme mit verschränkten Fingern weit über den Kopf. So als dehne er sich für eine sportliche Leistung oder als wolle er zeigen, wer überhaupt in der Gruppe Bond spielen dürfe. Aber er war nicht der einzige, der diesen Klingelton lächerlich fand. Schließlich wirke er ja auch sonst wie ein stahlharter Geheimagent, tuschelte Sylvia zu Frauke, die daraufhin so spontan und herzhaft lachen musste, dass sie sich beinahe verschluckte und der letzte Bissen auf ihren Teller fiel. Sylvias Flüstern war viel zu laut gewesen. So laut, dass es alle hören konnten, also auch Burbacki selbst. Errötend hackte er daraufhin wild auf der Tastatur seines Handys herum, so als suche er dort verzweifelt etwas. Vielleicht suche er die Funktion ,,Hilfe gegen beissende Kritik'', tuschelte Cedrik daraufhin zu Gumbrecht. Sein Handy bot ihm doch sonst alles, neben der ,,primitiven'' Telefonfunktion, E-Mail, Internet, Musik in MP3, Photos und so weiter. Aber ein paar Minuten später ließ er es nicht nur zur Freude Gumbrechts resigniert in seiner Hose verschwinden. Unruhig kontrollierte er anschließend ständig den Sitz seiner goldenen Krawattennadel und seine Freude am Essen schien sichtlich getrübt, denn er stocherte lustlos darin herum. Sein Tiramisu verschlang er dann jedoch in atemberaubender Geschwindigkeit. Dabei verzog er aber sein Gesicht als handele es sich nur um geschmacksarme synthetische Astronautennahrung, die er zum Zwecke der Nährstoffaufnahme zu sich nehmen musste und nicht um einen, wie alle sonst schwärmten, fantastischen Nachtisch. Der beste Tiramisu, den sie je gegessen habe, hatte Sylvia sogar mit schnalzender Zunge geschwärmt. Den letzten Bissen schluckte er bereits im Stehen und ging ohne sich zu verabschieden.
Das Essen ist mittlerweile schon fast verdaut und außer Frauke und Cedrik befindet sich nur noch ein älteres Ehepaar in der Hotelbar. Der Barkeeper, der mittlerweile sehr schläfrig wirkt, beginnt demonstrativ seine Theke zu reinigen und schaut dabei ungeduldig in ihre Richtung, denn er hofft wohl, dass sie möglichst bald von selbst gingen, damit er sie nicht auf die Öffnungszeiten aufmerksam machen musste.
-- ,,Wolff musste quasi hinter der Türe gestanden haben. Ich hatte kaum geklopft, da riss er schon die Türe auf. Der muss auf jemanden gewartet haben!'', sagte Cedrik und schaute dabei Frauke fragend an. ,,Vermutlich eine Frau!''
Als Frauke dazu schwieg sagte Cedrik, dass sich Wolff wohl sicher gewesen sein musste, dass diese Frau an der Türe sei. Als Cedrik dazu nichts weiter sagte, wollte Frauke wissen, wie er sich dessen so sicher sein könnte.
-- ,,Sonst hätte er mir doch nicht splitternackt die Türe aufgemacht.''
-- ,,Du emfängst also Frauen splitternackt an der Türe?'', sagte Frauke scherzend.
-- ,,Nein natürlich nicht. Er hat eine Frau erwartet, von der er wusste, dass sie mit ihm ...du weißt schon ...''
-- ,,Du meinst ...mit ihm schlafen wollte!''
-- ,,Genau! Jedenfalls, als er mich sah, hatte ihn fast der Schlag getroffen! Hat sofort wieder die Türe zugeknallt!'', sagte Cedrik.
Er frage sich nun, auf wen Wolff wohl gewartet habe. Dabei schaute er Frauke wiederum fragend und beinahe anklagend an, als müsse sie die Antwort wissen oder wäre gar die Frau gewesen.
-- ,,Du glaubst doch wohl nicht, dass der auf mich gewartet hatte?'', sagte Frauke, und Cedrik glaubte zu spüren, dass sie leicht verärgert war.
Cedrik murmelte verlegen, dass er doch nicht gemeint habe, dass sie ihm Hoffnungen gemacht habe oder so. Aber schließlich habe Wolff ihr doch eben dieses frivole Angebot gemacht!
-- ,,Und ich habe es nicht angenommen!'', sagte Frauke, während sie ihren Ziegefinger in Kreisen über den Glasrand gleiten lies.
-- ,,Aber du hattest es vielleicht nicht dringlich genug abgelehnt!'', gab Cedrik nicht nach.
-- ,,Also ich hatte geschwiegen, da es mir peinlich war, als du zurückkamst ...Außerdem, ich muss mich doch nicht verteidigen!'', sagte Frauke nun beinahe zornig, ,,Du kommst mir vor wie ein eifersüchtiger Ehemann!''
Nur für wenige Minuten war sie mit Wolff alleine gewesen. Wolff hatte dreist die kurze Zeit ausnutzt, während Sylvia auf der Toilette war, und Cedrik ungeduldig an der Theke auf die Getränke wartete, ihr sein frivoles Angebot zu machen. Dazu hatte er seinen Platz auf einem Sessel verlassen und neben Frauke auf dem Sofa Platz genommen. Dort wo vorher Sylvia gesessen hatte. Frauke rutschte seitwärts aber Wolff folgte ihr nach. Während sie ein Glas auf dem Tisch fixierte, plauderte er scheinbar belanglos davon, wie sehr er es hasste, alleine in fremden Hotelzimmern zu schlafen. Auch wenn sie weiter unbewegt geradeaus starrte, spürte sie seine bohrenden Blicke von der Seite. Außerdem spürte sie, wie weiter näher rückte. Sie rückte weiter nach rechts, dort wo vorher Cedrik gesessen hatte. Wolff rückte weiter nach, aber ließ diesmal wenigstens einen Zentimeter Raum. Während sie weiterhin jegliche Seitwärtsbewegung ihres Kopfes verkranpft vermied, erkannte sie dennoch am äußersten linken Rand ihres Blickfeldes, dass er ungeniert ihre nackten Beine betrachtete, der Teil ihrer Oberschenkel der zwischen Rocksaum und Tischrand sichtbar war. Nervös zog sie ihr Kleid weiter nach unten. Auch wenn es nun schon so lange zu seinem Beruf dazugehöre, habe er sich daran noch nie richtig gewöhnen können. Frauke tat so, als habe die Betonung auf ,,fremden Hotelzimmern'' und nicht auf dem Wort ,,alleine'' gelegen. Fremde Zimmer möge sie auch nicht. Sie habe Angst vorden neuen Geräuschen, neuen Düften und auch so einfachen Dingen wie knarrende oder durchgelegte Matrazen. Da helfe es, wenn man nicht alleine sei, preschte Wolff vor.
-- ,,Was? Wenn auf einer durchgelegten Matraze auch noch ein Mann neben einem liegt?'', sagte sie und schaute ihn dabei höhnisch an. ,,Nein, danke!''
-- ,,Gegen die Angst hilft es!'', blieb Wolff unbeirrt.
Jetzt habe sie richtig Angst, sagte Frauke und blickte unruhig zwischen Bar und Toilette hin und her, in der Hoffnung, dass möglichst bald Cedrik oder Sylvia käme.
Auch Wolff, der sich dazu eigens umdrehen musste, vergewisserte sich, dass noch niemand käme. Unverfroren rieb er mit seiner heißen verschwitzten Hand über ihren Oberschenkel. Sie krampfte sich bewegungslos zusammen, unfähig seine Hand abzuwehren. Über ihren ganzen Körper huschte eine Gänsehaut, was Wolff jedoch völlig falsch interpretierte. Er spüre es, dass sie es auch wolle, sagte er. Er würde in seinem Hotelzimmer auf sie warten. Sein Zimmer habe die Nummer ,,drei Sex Sex! Schöne Nummer nicht wahr!''
Als Wolff in ihren Blicken erkannte, dass Cedrik mit den Getränken zurückkam. Cedrik stand verdutzt und bewegungslos mit den Getränken in der Hand auf der anderen Seite des Tisches und starrte auf seinen alten Sitzplatz, wo jetzt Frauke saß. Er könne die Getränke ruhig auf dem Tisch abstellen, ermunterte ihn Wolff mit einem hämischen Lachen. Dabei schaute er auch in Richtung Frauke, als erwarte er von ihr Beifall.
-- ,,Also ich wollte mich eigentlich auf meinen Platz ...'', stammelte Cedrik.
-- ,,Sie wollen doch nicht unsere Dame von ihrem Platz vertreiben?'', hatte ihn Wolff breit grinsend gefragt.
Dann klopfte Wolff auf das Sofa zu seiner Linken, während er mit seiner Rechten Fraukes Knie tätschelte. Aber diesmal wurde er sofort von Frauke unterbrochen, die seine Hand energisch weghob. Ungeachtet was auf seiner Rechten passierte, tätschelte Wolff weiter das Sofa zu seiner Linken und forderte Cedrik auf, doch dort Platz zu nehmen.
Cedrik lehnte dankend aber mit einem sauren Gesicht ab und nahm auf dem Sessel neben Frauke Platz.
-- ,,Sie wissen das unsere Sylvia dort vorhin saß!'', meinte Wolff ihn aufklären zu müssen, während er genüsslich, so als habe er Grund zu feiern, einen Schluck seines neuen Glases vom Rosso di Montalcino trank.
Wenn man wirklich nachhaltig die Arbeitsmoral und die Leistung in der Firma steigern wolle, sollte man diesen Wein in der Kantine zum Essen kredenzen, scherzte Wolff selbstzufrieden wie ein Buddha lächelnd, nachdem auch Sylvia zurückgekommen war. Sylvia war sofort Wolffs Aufforderung doch neben ihr Platz zu nehmen nachgekommen.
-- ,,Ein traumhafter Wein, zwischen zwei tollen Frauen, da bin ich schon ganz neugierig, was das Seminar noch so alles zu bieten hat!''
Er macht eine bedeutungsvolle Pause, in der er abwechselnd Frauke und Sylvia lüstern anstarrte. Alleine der Wein mache dieses Seminar für ihn schon zu einem vollen Erfolg. Frauke nippte gedankenverloren und mit nach innen gekehrtem Blick an ihrem beinahe leeren alten Weinglas, denn sie hatte kein neues mehr gewollt. Manchmal bleibt es auch bei den ersten Erfolgen, sagte Sylvia zu ihm.
Als Frauke sagte, dass sie bald gehen würde, denn sie sei ziemlich müde, fasste dies Wolff wohl falsch auf. Sie hatte ihn möglicherweise auch ganz unbeabsichtigt zu freundlich lächelnd angeschaut.
-- ,,Also ich gehe dann schon mal ...'', sagte Wolff und für Frauke war es, als habe er auch noch ,,vor'' gesagt.
Als er schwankend vom Tisch davonzog, sagte er noch breit grinsend in ihre Richtung ,,Bis später!''
-- ,,Bis morgen!'', sagte Cedrik daraufhin laut und deutlich.
Ein paar Minuten später fand Cedrik auf dem Sessel, auf dem wenige Minuten zuvor Wolff gesessen hatte, dessen Geldbeutel.
-- ,,Verdammt, wenn der merkt, dass sein Geldbeutel fehlt, dann kommt der wieder!'', sagte Cedrik.
-- ,,Ich denke, der merkt heute Abend nach all dem Wein nichts mehr!'', hatte Sylvia daraufhin gesagt.
-- ,,Ich bring ihm lieber seinen Geldbeutel. Sicher ist sicher! ...Kennt jemand seine Zimmernummer?''
Frauke schwieg, obwohl sie Nummer nicht vergessen hatte. Sie hatte sie sich gemerkt, um zu wissen, um welchen Raum sie einen Bogen machen musste oder besonders leisen passsieren musste. 366 müsste es wohl sein, sagte Sylvia, oder 362, denn sie habe doch das Zimmer 364, zwei Zimmer vorher. Jedenfalls sei Wolffs Zimmer, dasjenige welches weiter weg vom Fahrstuhl sei.
Schon von weitem konnten Frauke und Sylvia bei Cedriks Rückkehr sehen, dass ihm etwas außergewöhnliches widerfahren sein musste. Während er sich ihrem Tisch näherte schüttelte er immer wieder ungläubig lachend seinen Kopf.
-- ,,Das glaubt mir keiner!'', sagte er, als er sich wieder hinsetzte.
Die beiden Frauen brauchten nicht lange auf seine Erklärung zu warten.
-- ,,Splitternackt hat der die Türe aufgemacht und schrak dann zusammen als habe er den leibhaftigen Teufel vor sich stehen.''
-- ,,Der muss wohl jemand anderes erwartet haben!'', sagte Sylvia kichernd, während Frauke wie schuldbewusst ernst unter sich schaute.
-- ,,Davon gehe ich aus!'', sagte Cedrik ,,Ansonsten würde ich mich wundern, warum er jemand in dem Zustand ...also ich meine, der hatte einen ...''
Cedrik stockt, so als ringe er nach Wörtern oder als zaudere er etwas Unangenehmes auszudrücken und überlege, ob er überhaupt fortfahren solle.
-- ,,Was hatte er?'', fragte Frauke.
-- ,,Der hatte ...'', Cedrik stockte wieder ,,der hatte einen erigierten Penis!''
-- ,,Wir sind erwachsene Frauen! Du brauchst dich nicht wie ein Professor in einem medizinischen Hörsaal auszudrücken.', sagte Sylvia lachend.
Immer wieder bohrt Cedrik nach, als er mit Frauke alleine in der Bar sitzt, wieso Wolff sich so sicher gewesen sein konnte, dass sie zu ihm käme. Eine normale Frau würde doch sicherlich schreien oder sonstwie ausrasten, wenn ihr ein nackter Mann mit einem steifen Schwanz die Türe öffnete.
-- ,,Wer sagt dir eigentlich, dass ich geschrieen hätte? ... Vielleicht hätte ich auch einen Lachkrampf bekommen! ...Zumindest hier im Hotel. In einem einsamen dunklen Wald oder so würde es wieder anders aussehen.''
-- ,,Aber wieso macht er sich Hoffnungen?''
-- ,,Das musst du ihn fragen! ...Verdammt! Der ist besoffen, außerdem ein eingebildeter Arsch, der glaubt, dass ihm keine Frau widerstehen könne ...und der glaubte es, weil ich ihm nicht deutlich genug widersprochen habe!''
Dann sagt sie zu Cedrik, dass sie ein Problem habe, klar und deutlich nein zu sagen. Außerdem habe sie nicht das Gefühl gehabt, dass er wirklich ernst meine, was er sagte.
Es sei ein Problem, wenn man nicht nein sagen könne, das sei falsch verstandene Freundlichkeit sagte sie zu Cedrik. Sie wollte ihm seine Eifersucht nehmen. Sie begann von ihrer Studienfreundin Eirwen aus Wales zu erzählen. Sie habe den richtigen Namen gehabt, denn Eirwen bedeute schneeweiß auf Walisisch und so sei ihr Teint auch im Sommer gewesen. Eirwen hatte, so wie sie es scherzhaft darstellte, bereits von ihrer Muttersprache her Probleme `nein' zu sagen. Bei Partys machte sie sich immer einen Spaß daraus zu bemerken, dass die Mädchen in Welsh nicht richtig nein sagen könnten, denn es gäbe kein Wort für ,,nein''. Wenn dann die männlichen Gäste aufmerksam wurden und anzüglich zu scherzen begannen, sagte sie, dass sie sich nicht zu früh freuen sollten. Die Waliserinnen hätten auch kein Wort für ,,ja''. Jetzt wo sie so gut Deutsch könne, habe sie doch wohl keine Probleme mehr damit. Daraufhin hätte sie immer zugestimmt und gesagt, dass sie nun das Wörtchen ,,nein'' kenne.
-- ,,Aber geholfen hatte es Eirwen dennoch nicht.'', sagt Frauke ,,Sie musste ihr Studium abbrechen, weil sie im richtigen Moment doch nicht nein gesagt hatte und schwanger wurde.''
Cedrik, scheint seine Eifersucht wieder überwunden zu haben und lacht herzhaft. Er hat eine Frage auf der Zunge von deren korrekter Formulierung er noch nicht richtig überzeugt ist. `Wenn ich nun die richtige Frage stelle, kannst du dann auch nicht nein sagen!', erscheint ihm prinzipiell okay, aber er war sich nicht sicher, ob Frauke sie möglicherweise als zu unflätig empfinden würde. Vielleicht würde sie erkennen, dass seine Frage nicht nur harmlosen Wortwitz darstellte. Vor allem traut er sie sich jetzt nicht, nach dem, was mit Wolff passiert war zu stellen. Sie würde ihn vielleicht mit Wolff auf eine Ebene stellen. Sie würde ihm sexuelle Ambitionen unterstellen, obwohl er sich insgeheim wünschte mit ihr aufs Zimmer zu gehen.
-- ,,Woher weiß man eigentlich, wann eine Frau, die nicht nein sagen kann, `ja' meint?'', fragt Cedrik.
-- ,,Sie weiß es!'', sagt Frauke lächelnd und sucht dabei seinen Augenkontakt, ,,und wenn ein Mann nicht total unempfänglich ist weibliche Signale zu deuten, dann sollte er es auch merken!''
Cedrik spürt wie ihm das Blut in den Kopf schiesst, und als er daran denkt, dass sie es bemerken könnte errötet er noch mehr..
-- ,,Aber Frauen sind nicht so wie Männer ...'', fährt Frauke fort.
-- ,,Du meinst solche Männer wie Dr. Wolff?'', wirft Cedrik zur Verteidigung seines Geschlechts und seiner selbst ein, denn er spürt, dass etwas Negatives kommen würde.
-- ,,Gut, solche Männer wie Wolff, aber das sind ja wohl die meisten! ...Die brauchen doch nur ein wenig nackte Frauenhaut zu sehen, Beine, eine sich unter der Bluse abzeichnender Busen und die sind geil. Die würden doch mit jeder ins Bett springen ...''
-- ,,Männer wie Wolff, aber ...''
-- ,,Aber bei Frauen ist das anders. Die brauchen mehr! Die sind nicht so auf Äußerlichkeiten fixiert!''
Allerdings seien Frauen aber auch relativ verschieden. Bestimmt gäbe es auch solche, die rein auf Äußerlichkeiten abführen, aber dennoch seien die wohl die Ausnahme.
-- ,,Ich kenne eine ...'', dann stockt sie und korrigiert sich ,,Ich meine, ich habe mal über eine Frau gelesen, die musste erst einmal Kinderbilder von einem Mann sehen, um sich in ihn zu verlieben.''
-- ,,Also eine pädophile Frau! Soll es ja auch geben!''
-- ,,Nein, nein. Die hatte nichts mit Kindern am Hut. Also sexuell meine ich. Also bei der Frau war es so, dass sie sich nur in einen Mann verlieben konnte, wenn sie wusste, dass er ein gutes Kind ...also nett, intelligent, gewesen war.''
-- ,,Ja, hängt wohl damit zusammen, dass bei der Partnerwahl immer auch allerdings meist nur unbewusst Fortpflanzungsaspekte eine Rolle spielen. Wenn eine Frau mit einem Mann zusammengeht, kommen ja meist auch Kinder und die werden wenn alles seinen normalen Gang geht auch ihrem Vater gleichen!''
-- ,,Wenn alles seinen normalen Gang geht ...'', sagt Frauke mit einer für Cedrik unerklärlichen Enttäuschung in der Stimme.
-- ,,Diese Frau, '', sagt Frauke dann ,,hatte sich jahrelang ein Kind gewünscht! Aber es funktionierte nicht. Dann wurde sie schwanger, aber nicht von ihrem Mann, sondern von einem Liebhaber. Ich glaube sie hat sich ihn nur gesucht, weil weil sie schwanger werden wollte. Doch, ich glaube, sie liebte ihn schon, aber dennoch ging es um ein Kind. Ihr Mann glaubte es sei sein eigenes Kind, auch wenn es ihm nicht allzu sehr glich. Alles war wunderbar, bis der Mann erfuhr, dass er schon seit seiner Pubertät nicht zeugungsfähig war. Die Ehe war kaputt, aber besonders absurd ...er liebte seine Tochter und dann als er erfuhr ...''
Plötzlich stockt Frauke, schluckt mehrmals und ihre Augen werden wässrig.
-- ,,Du kennst die Frau sehr gut?'', versucht Cedrik sie zu ermuntern weiter zu reden.
-- ,,Ich denke, dass es Zeit ist zu gehen!'', sagt sie nach einer Weile mit Blick auf den Barmann, der mittlerweile die Musik abgestellt hatte und mit auffälligem Lärm die Stühle auf die Tische zu räumen begonnen hatte und immer wieder in ungeduldig in ihre Richtung starrt, denn sie waren die letzten Gäste.
Nach einer Weile, wie als Antwort auf seine Frage schon lange verhallte Frage, sagte sie dann:
-- ,,Vor allen Dingen kann ich die Situation der Tochter und der Mutter gut nachvollziehen. Was es heißt, von seinem Vater abgelehnt zu werden, und was es heißt Kinder zu wollen und keine zu kriegen!''
-- ,,Also diese Frau ...'', Cedrik machte eine Pause, wie um zu überlegen, ob er konkreter werden sollte, ,,also diese Frau betrog ihren unfruchtbaren Mann, wurde schwanger und später heiratet die Tochter wieder einen Mann, der unfruchtbar ist.''
-- ,,Ja! ...Aber lassen wir das Thema!''
-- ,,Aber du selbst willst doch keine Kinder?'', fragt Cedrik und fügte schnell hinzu, als sie ihm nicht antwortet, ,,Entschuldigung! Geht mich ja nichts an!''
Bei einem Umtrunk, den ein Kollege in der Firma zur Feier seines neuen Nachwuchses gegeben hatte, hatte sich Frauke einmal ereifert, dass sie keine Kinder wolle. Zu viel Verantwortung, zu viel Arbeit und überhaupt.
-- ,,Also gut: Die Frau von der ich sprach, ist meine Mutter! Das wolltest du doch wissen. ...Ich glaube, dass es jetzt Zeit zum Gehen ist. Der Barkeeper wird schon unruhig. Außerdem, wenn ich Garda richtig verstanden habe, wird es morgen kein Spaziergang!''
Während Cedrik alleine den Fahrstuhl verlässt, denn sein Zimmer befindet sich im zweiten Stock, bemerkt Frauke, während sich der Fahrstuhl schliesst, dass er doch sicherlich die Fabel vom Fuchs und den zu hoch hängenden süßen Trauben kenne. Als sich die Fahrstuhltüre langsam leise zischend zuzieht, glaubt Cedrik in zwei große traurige Augen zu blicken und schüchternes Lächeln huscht über ihr Gesicht.
© Bernd Klein