Der Verdacht

-- ,,Weißt du, dass mir eine Frau wie du noch nie begegnet ist?'', sagt Cutu, der bäuchlings auf einer Massagebank liegt. Beweglich wie eine Schlange verrenkt Cutu seinen Kopf, um einen besseren Blick auf die neben ihm stehende Frau zu erhaschen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass er keine Wirbel im Hals hätte, die herausspringen könnten.

Thiphilnia lächelt nur verhalten und, wie er glaubt, verlegen und nimmt vom kleinen Tischchen noch etwas Öl, was sie sorgsam in ihren Händen wärmt.

-- ,,Oder bist du eine Göttin? Alpanu im Frühling ... ihr Atem lässt die Wiesen ergrünen ...Du Schönste der Lasas ...''

-- ,,Der typische Männertraum! Die nackte Göttin in Sandalen ...''

Antike Historiker, wie auch der griechische Theopompus, lassen die Etrusker als laszives Volk erscheinen. Nach Festgelagen mit Alkohol und üppigen kulinarischen Genüssen, begannen Männer und Frauen, so die antiken Historiker, mit ihren Liebesspielen. Vor den Augen aller umarmten und liebkosten sie sich in atemberaubenden Verrenkungen. Männerhände streicheln voller Lust über Frauenkörper, auf denen keine Haare zu finden sind. Auf ihren Köpfen haben die Frauen ihre Haare zu Kunstwerken geformt, um damit die Männer in ihren Bann zu schlagen. Nach Belieben wechselten sie dabei die Partner. Wenn es wirklich so gewesen wäre, war es nur verständlich, dass die Frauen, -- wie die gleichen Historiker meinten, -- häufig nicht mehr wissen konnten, wer die Väter ihrer Kinder waren. Im Prinzip hätte es so auch keine sogenannten außerehelichen Kinder in dieser Gesellschaft geben können, da ja der außerehelicher Geschlechtsverkehr nach Sicht dieser Historiker gewissssermaßen der Normalfall war und sich niemand daran störte.

Thiphilnia herrscht ihn an, sich wieder auf den Bauch zu legen und seine Hände bei sich zu halten, wobei Sie ihn kräftig auf die Liege herunterdrückt.

-- ,,Du bist ganz anders als alle Frauen, die mir bisher ...'', versucht Cutu ihr aufs Neue seine Bewunderung zu versichern.

-- ,,Und so etwas wie du ist mir auch noch nicht begegnet ...''

-- ,,Wirklich?'', fragt er mit einem Grinsen und verrenkt seinen Kopf dabei noch weiter, dass die Nackenwirbel knacken.

-- ,,Ja wirklich, du bist auch anders als die anderen Männer ...'', sie macht eine Pause in der er gierig auf ihr Lob wartet ,,du bist nämlich noch schlimmer ...und wenn du nicht aufpasst, dann brichst dir deine Geilheit noch das Genick!''

-- ,,Gibt es einen schöneren Tod als in den Armen einer Göttin?''

-- ,,Und ich wäre anschließend arbeitslos, wenn sich herumspricht, dass Männer sich bei meiner Massage das Genick brechen!''

-- ,,Im Ernst: In deinen Augen spiegelt sich das Morgenland. Deine Haare sind ...wie ...'', er zögert und sagt dann mit hintergründigem Lächeln, ,,wie Silphion. Deine Haut ist weiß wie die Strände von Kyrenes. Kostbar wie Opos ...''

-- ,,Silphion stinkt!'', sagt sie, scheinbar unbeeindruckt von seinen Schmeicheleien.

Auch wenn es stank, wog man Silphion in der Antike mit Silber auf, und es schmückte die Münzen, kyrenäische Münzen, und Geld stinkt ja bekanntermaßen nicht. Ein einzigartiges Gewächs aus der Familie der Doldenblüter. Eine fenchelartige Gewürzpflanze, derem weißen Milchsaft die Kraft nachgesagt wurde, Vergiftungen zu kurieren aber auch Epilepsie zu heilen. Ein Gewächs, welches auch in der Lage war, die Menstruation bei Frauen in Gang zu bringen und seine größte Bedeutung -- wie könnte es anders sein, in einer Zeit in der es noch keine wirkungsvolle Kondome und keine Pille gab -- gewann es als natürliches Verhütungsmittel. Der römische Dichter Catul, der viele Jahrhunderte nach Cutu geboren würde, wußte wie kein anderer vor ihm sexuelle Sehnsucht und Ohnmacht in Verse zu schmieden. Auf die Frage wieviele Küsse seiner von ihm heiß begehrten Lesbia ihm genügten, weiß er die Antwort: ,,Wieviel libyscher Sand bedeckt Kyrenes Weite, silphionreiche Küstenstriche, vom Orakel des glühendheißen Ammon bis zu Battos´, des Alten, heiligem Grabmahl; wieviel Sterne in stummer Nacht vom Himmel auf der Menschen verstohl´ne Liebe schauen: soviel Küsse zu küssen wär´ Catullen genug, übergenug in seiner Tollheit. Kein Fürwitziger soll sie zählen können, und kein tückischer Mund soll sie berufen!''

-- ,,Nein, wirklich schon als ich dich heute am Hafen zum ersten Mal sah, als du auf mich zugekommen warst. Es hatte mir den Atem verschlagen!''

-- ,,Hast du zuviel eine Papyrusrolle mit Poesie zum Frühstück verspeist?'', fragte sie ihn lachend, aber er glaubte zu spüren, dass seine Schmeicheleien auf fruchtbaren Boden vielen.

Eigentlich war sie eine der drei Göttinnen gewesen, die die Männer von Fufluna am Hafen erwartet hatten, als sie mit den Schiffen einliefen. Aber Thiphilnia war Cutu sofort als die einzig wahre Alpanu erschienen, egal wie sie in Bildern und Statuen sonst dargestellt wurde. Alpanu, die gekommen war, den Frühling zu bringen, den Winter aus seinem Herzen zu vertreiben. In ihren ungewöhnlichen gold-blonden Haaren, schimmerte die Kühle des Nordens und in ihren großen runden Augen, die Hitze des Südens, rötlich golden, wie der Sand der großen Wüste Afrikas. Aber tief in ihnen schimmerte auch eine warme Melancholie und eine verklärte Weisheit. Hinter den sinnlichen leicht gewölbten Lippen zeigt sie strahlend weiße Zähne, wie er sie in einer derartigen Ebenmäßigkeit noch nie gesehen hatte. Ihre schmale Nase zeigt leicht nach oben. Sie war die größte der drei Göttinnen, einen Handbreit länger als Cutu. Sie trugen wegen der großen Hitze dünne bunte Gewänder durch die ihre Körper im Gegenlicht schimmerten.

-- ,,Vielleicht war das ja der Sinn der Sache!'', sagte sie lachend und knetete dabei seine Schulterblätter.

Er solle vorsichtig sein, hatte Vulca vor langer Zeit bei einem feierlichen Empfang in einer phönizischen Stadt seinen Vater gewarnt. Cutu damals nicht mehr Kind und noch nicht Mann stand zwischen seinem Vater und seinem Cousin Vulca. Der ganze Rummel, hatte Vulca erklärt, womit er Musik-, Tanzgruppen und Ehrengarde meinte, diene nur zur Vernebelung ihres Verstandes. Sie wollten sie nur einlullen, um sie später bei den Verhandlungen über den Tisch zu ziehen.

Die Möwen waren die ersten Boten Alalias gewesen, dann kam die Musik. Als sie die Bauwerke des Hafens noch mehr erahnen als sehen konnten, trug ihnen der Wind schon den Klang der der Tuben, Hörner und Posaunen entgegen. So war es nicht geplant, denn die Musiker hatten nur geprobt, was sie zu ihrem Empfang blasen würden. Cutus Plan war gewesen überraschend aufzutauchen, aber schon ihre Vorbereitungen in Fufluna waren wohl nicht geheim geblieben. So hatte ein tags zuvor eingelaufenes Handelsschiff ihr Kommen angekündigt. Ein Schiff mit Waren aus Fufluna.

Cutu glaubte, dass es die gleiche Melodie war, wie damals in der phönizischen Stadt, die man zu ihrem Empfang im Hafen von Alalia gespielt hatte, während die Mannschaft das Schiff vertäute. Diesmal schien Vulca kein Misstrauen bei dem überschwänglichen Empfang zu hegen, denn er vertraute Nerie, dem Stadtoberhaupt von Alalia. Viel gefährlicher als die Musik war für Cutu seine Alpanu, die ihn sofort seinen Kopf verlieren ließ. Aber es waren nicht die Triumphmärsche voller Kraft und Stärke, womit sie nicht nur ihre Gäste willkommen hießen, sondern auch die eigene Stärke betonten.

Thiphilnia, -- eigentlich auch ihre Begleiterinnen, aber das wollte sich Cutu unter ihren Händen auf seinem nackten Körper nicht mehr eingestehen, -- hatte Cutu so sehr in Bann gezogen, dass es ihn störte, oder er es noch nicht einmal registrierte, als Nerie zuerst Vulca überschwänglich begrüßte. Eine schwere Verletzung des Protokolls, denn Vulca war zwar der ältere, aber Cutu der Ranghöchste. Nerie umarmte und drückte ihn wie einen alten Freund oder einen Bruder, den er schon lange nicht mehr gesehen hatte.

-- ,,In deinen Augen kann man versinken. Augen, die einen die Düsternis von Aitas Welt fröstelnd erkennen lassen, aber aus denen auch das Leben wie Tinias Blitze sprudelt.''

-- ,,Falls du meine Augen suchst, findest du sie ein gutes Stück höher!'', ermahnte ihn Thiphilnia, denn während er ihre Augen lobte, starrte er auf ihre Brüste, die von einem Stoffteil, -- welches im 21. Jahrhundert problemlos als Bikinioberteil akzeptiert würde -- nur andeutungsweise verborgen wurden.

Schon während Nerie und die Würdenträger der Stadt sie feierlich durch die festlich geschmückten Straßen von Alalia zum Palast geleitet hatte, schaute Cutu immer wieder auf die vor ihm gehende Thiphilnia, wobei der Schwerpunkt seiner schmachtenden Blicke auf ihrem Gesäß lastete. Nerie pries die Neuerungen der Stadt: Das neue Theater und vor allem die neue prunkvolle Badeanstalt, die sie später noch kennenlernen würden. Man würde ihnen ein Bad mit den erlesensten Kräutern von Kyrnos bereiten, damit sie sich von Schweiß und Meersalz reinigen könnten. Nach Bad und Massage könnten sie dann erfrischt an dem am Abend zu ihren Ehren stattfindenden Fest teilnehmen.

-- ,,Es gibt ja auch andere Massage-Techniken, ...'', sagte Cutu grinsend und drehte sich gegen den Druck ihrer Hände auf den Rücken und hob sein Becken mit beachtlich geschwollenem Penis ihr entgegen.

-- ,,Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!'', sagt sie lachend.

-- ,,Wie meinst du das?'', fragt er.

-- ,,Ist doch klar: Die Potenz scheinst du von deinem Vater geerbt zu haben!''

-- ,,Du kennst meinen Vater?''

-- ,,Immer wenn er in Alalia war, waren wir zusammen.''

-- ,,Auch das letzte Mal?''

Sie schaute ihn überlegend an, so als habe sie seine Frage nicht richtig verstanden oder überlege, wie sie am besten antwortete. Dann bejahte sie seine Frage

© Bernd Klein