Zielstrebig bewegte sich Gumbrecht zum Ende des langen Ganges. Frauke folgte ihm direkt, während Cedrik immer ein paar Schritte zurücklag. Immer wieder bleibt er stehen, schaut sich ängstlich um, wie einer der damit rechnet verfolgt zu werden, und zuckt zusammen, wenn er irgendwo Schritte, entfernte Stimmen, die Wasserspülung oder sonstige kaum wahrnehmbare Geräusche hört. Jedesmal sieht es so aus, als überlege er, ob er überhaupt weitergehen soll. Die letzte Türe am Ende des Gangs müsste nach Gumbrechts Überlegungen der Eingang zum hinteren Teil des Ladens sein.
-- ,,Wir können doch nicht einfach dort hineingehen, wenn keiner da ist, das ist doch dann nichts anderes als Einbruch!'', moserte Cedrik des Öfteren.
-- ,,Wenn die Türe offen ist, dann ist das kein Einbruch! Wenn sie abgeschlossen ist, gehen wir wieder!'', sagte Gumbrecht.
-- ,,Die Türe ist sicherlich eh zugesperrt. Wenn nicht, dann '', flüsterte Frauke.
-- ,,dann ist es schlimmstenfalls Hausfriedensbruch, wenn wir hineingehen. Wir könnten immer noch sagen, dass wir uns verirrt haben!''
Als Gumbrecht die besagte Türe erreichte, schaute er sich nochmals im Flur um, ob wirklich niemand außer ihnen dreien dort wäre. Er klopfte leise an der Türe, denn er wollte die Türe nicht einfach so öffnen, falls sich jemand im Innern befände. Als sich nach einer wie eine Ewigkeit erscheinenden Minute niemand meldete, drückte er vorsichtig die Türklinke herunter.
Gumbrecht war die treibende Kraft hinter der Aktion. Kaum hatten sie mit den anderen den Souvenirladen verlassen gehabt, wiederholte er immer wieder, dass er nochmals in diesen Raum müsse. Er brauche Klarheit über diese Schatzkammer. Gumbrecht fand es merkwürdig, wie er sagte, wenn Kunstschätze im Hinterraum eines Souvenirladens schlummerten, auf die jedes Museum neidisch wäre. Solange Cedrik glaubte, dass es nur Gerede von Gumbrecht wäre, dass er es nicht ernsthaft versuchen würde in diesen Raum zu gehen, war es ihm egal. Es störte ihn auch nicht allzu sehr, dass Frauke auch von diesem Schatz der Etrusker begeistert schien. Aber beim Essen, als sie schon fast fertig waren, und die anderen schon das Restaurant verlassen hatten, wurde klar, dass es Gumbrecht ernst meinte und er nach dem Essen sofort los wollte. Wahrscheinlich gäbe es auch einen Weg durch den Keller in diesen Raum. Durch die Türe, durch die der Etrusker gekommen sei. Wahrscheinlich sei es die Türe am Ende des langen Ganges hinter den Toiletten. Das sei verrückt, das könnten sie doch nicht machen, wehrte sich Cedrik. Als Frauke klarstellte, dass er ja nicht mit müsste, aber sie auf jeden Fall mitginge, ging Cedrik schmollend, wie ein Kind mit. Er wollte sie nicht alleine mit Gumbrecht lassen.
Cedriks Hoffnung, dass die Türe verriegelt sei, löste sich gewissermaßen in Knarren und leisem Quietschen auf, als Gumbrecht vorsichtig die Türe einen Spalt weit öffnete. Dann hielt er wieder inne, lauschte, ob es irgendwelche Geräusche gäbe, die daraufhin deuteten, dass sie bemerkt worden seien. Vorsichtig lugte er in den Raum. Flüsternd und mit strahlendem Gesichtsausdruck verkündete er den anderen, dass es der gesuchte Raum sei und niemand drin sei. Dann öffnete er ohne weitere Vorsicht die Türe komplett und betrat den Raum.
-- ,,Die Kette mit dem Anhänger ist nicht mehr da!'', sagte Frauke, der man ihre Enttäuschung ansehen konnte.
-- ,,Das sind echte etruskische Grabsteine!'', hauchte Gumbrecht ehrfürchtig, der auf dem Boden kniete und mit seinen Fingerkuppen über den Stein strich.
Cedrik ermahnte ihn mit einem kaum hörbaren Psst und über den Mund liegenden Zeigefinger ruhig zu sein. Ohne einen Laut zu machen schlich sich Cedrik zum Vorhang, der Shop und Hinterraum trennt und bewegt ihn vorsichtig zur Seite. Dann schaut er mit dem ganzen Kopf durch und endlich kommt sein beruhigendes aber geflüstertes ,,Nichts! Ich muss mich wohl verhört haben!''. Alle Jalousien sowohl des Ladens als auch des Hinterraums waren heruntergezogen, um den Raum vor der Mittagssonne zu schützen. Niemand konnte sie so von draußen sehen, aber im Raum herrschte dadurch ein Dämmerlicht. Er würde mal genauer im Shop nachschauen, sagte Cedrik, als er durch den Vorhang huschte.
Gumbrecht schlängelte sich wie ein Kind auf allen Vieren zwischen den Steinen herum und jammerte leise, dass es zu düster sei, um alles richtig erkennen zu können. Frauke konnte von ihm nur noch seine Unterschenkel und Füße sehen, während sie selbst auf dem Boden vor einer Kiste kniete, in der sie hoffte, die Kette zu finden. Sorgfältig in Tücher und Zeitungen befanden sich darin diverse Kunstgegenstände, die alle sehr alt schienen. Geduldig wühlte sie in der Kiste, enthüllte und verhüllte einen Gegenstand nach dem anderen. Cedrik musste sich sicherer fühlen, denn seine Schritte klangen plötzlich lauter. Lauter und energischer, aber dennoch bemüht keine Geräusche zu machen. Wer sollte schon kommen. Man war schließlich im Süden und dort herrschte jetzt Siesta. Niemand würde in den Laden kommen. Die Schritte, wieder vorsichtiger und kaum hörbar, näherten sich ihrem Raum. Sie wühlte weiter in der Kiste, begann nun mehr Systematik in ihre Suche zu bringen. Zuvor kam es immer wieder vor, dass sie die gleichen Gegenstände enthüllte, weil sie beim Zurücklegen unachtsam war. Gumbrecht lag bewegungslos zwischen den Steinen, leise keuchend. Gerade als sie glaubte alles durchwühlt zu haben und das Amulett nicht mehr zu finden, fand sie den Anhänger. Überglücklich richtete sie sich auf und hielt es in Richtung des, wie sie glaubte, sich nähernden Cedrik. Aber es war nicht Cedrik, sondern der kleinere der beiden Gehilfen Gardas. Dies alleine wäre schon erschreckend genug gewesen, aber in seiner Hand hielt Giorgio eine Waffe.
-- ,,What do you do here?'', sagte er grinsend und zeigte mit seiner Waffe nacheinander mit seiner Pistole auf Gumbrechts Beine und auf sie.
Frauke umklammerte das Kreuz, als könne sie sich daran festhalten, als biete es ihr Schutz. Er schien nicht zu wissen, dass auch Cedrik da war. Er konnte ihn nicht bemerkt haben, denn das hätte sie gehört. Cedrik könnte ihnen vielleicht helfen. Gumbrecht krabbelte vorsichtig rückwärts.
Frauke glaubte ein ganz leises Knacken im Geschäft gehört zu haben und war froh, dass es der Kleine nicht bemerkt hatte. Damit er keine Chance hätte, etwas zu hören, begann sie ohne Unterlass zu plappern in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch. Untermalt wurde ihre Geräuschkulisse von Gumbrecht, der nur kräftig schnaubte, nachdem er sich aufgerichtet hatte. Sie hätten sich nur einmal umschauen wollen, sagte sie. Es wäre niemand da gewesen und die Türe sei offen gewesen und da seien sie einfach hineingegangen. Natürlich, das sei nicht richtig, aber sie hätten nichts Böses im Schilde geführt. Dann fing sie wieder von vorne an, leicht andere Wörter mehr in Englisch, da der Kleine sie mehr und mehr genervt anschaute und dabei unruhig mit der Waffe wackelte.
Cedrik schlich sich in den Raum. Frauke schaute krampfhaft in einer andere Richtung, um ihn nicht mir ihren Blicken zu verraten. Gumbrecht, der auf Frauke schaute, hatte Cedrik noch nicht bemerkt. Hoffentlich würde Gumbrecht nicht zu unachtsam sein und Cedrik durch ein verräterisches Minenspiel enttarnen. In seiner Hand hält Cedrik eine der etwas dreißig Zentimeter großen Messing-Figuren. Eine Replikat eines alten Etruskers, den man in einem Grab gefunden hatte. Cedrik drückt ihm die Figur in den Rücken und hofft, dass Giorgio sie für den Mündungslauf einer Waffe hält. Cedrik droht ihm zu schießen, wenn er seine Waffe nicht fallen ließe.
© Bernd Klein