Frauke spürt ein Kribbeln in ihrem Hals, so als krabbelte etwas durch ihre Kehle. Immer stärker wird der Juckreiz, der unweigerlich bald einen Hustenreiz auslösen musste. Aber sie durfte keinen weiteren Laut mehr von sich geben, denn gerade eben erst hatte sie die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Immer näher hatte sie sich herangeschlichen, vorsichtig, dass sie keine lauten Geräusche verursacht, aber dann zerbrach ein besonders dicker und morscher Ast unter ihren Schuhen. Sie war sofort wie angewurzelt stehen geblieben, aber der Kleine hatte etwas gehört. Wie ein Raubtier, das die Witterung eines Beutetieres aufnimmt, hatte er sich sofort aufgerichtet. Mit laut pochendem Puls glaubt sie seine funkelnden Augen zu sehen, mit denen er ihre Umgebung durchkämmt. Instinktiv schließt sie ihre Augen bis auf zwei Schlitze, damit er sie nicht an ihrem Funkeln erkennen kann.
Frauke hatte eigentlich ihr Zelt, das sie sich mit Sylvia teilte, nicht verlassen wollen, aber der Harndrang, der sie zunächst nur in Träumen piesackte, war unerträglich stark geworden. Aber vor allen Dingen nach Sylvias Gang zur Toilette war sie hellwach und wusste, dass sie so nicht mehr hätte einschlafen können.
Irgendein Schwein hätte im Stehen gepinkelt, hatte Sylvia bei ihrer Rückkehr geschimpft. Nichts sei ekelhafter als wenn man sich im Dunkeln auf eine verpinkelte Toilettenbrille setzte. Die Vorstellung der verdreckten Toilette hatte Frauke dann auch in den Wald getrieben statt zur mobilen Toilette. Wäre sie vor Sylvia aufgestanden, hätte sie sich auf der verpinkelten Brille niedergelassen und stände dafür nun nicht im Wald und müsste sich fürchten.
Sie beobachtet aus verkniffenen Augen, wie der Kleinen etwas zu seinem Kollegen flüstert und dabei in ihre Richtung zeigt. Eigentlich glaubt Frauke, dass Dunkelheit und Büsche ihr Sichtschutz genug geben müssten, aber sie fühlt sich dennoch wie auf dem Präsentierteller. Schließlich kann sie die Silhouetten der drei auch deutlich im fahlen Mondlicht erkennen. Garda und ihre beiden Helfer, der sanfte Koloss und der Kleine, den sie so unheimlich findet. Weiter im Gebüsch wäre sie geschützter, aber wenn sie sich bewegte, würde sie neuen Lärm machen. Die drei würden nun auch kleinste Geräusche wahrnehmen. Bliebe sie stehen und die drei kämen in ihre Richtung, dann würde man sie finden. Wenn sich einer in ihre Richtung bewegen würde, dann würde sie sofort weglaufen, beschließt sie.
Auch wenn sie nicht hören kann, was Garda und der Koloss dem Kleinen zuflüstern, hatte Frauke das Gefühl, dass sie seine Wahrnehmung nicht bestätigen konnten, und dass sie ihn beruhigten, dass er sich verhört oder ein Tier gehört haben müsse. Auch wenn Frauke ihn in der Dunkelheit nicht deutlich genug sehen kann, bildete sie sich ein, dass der Kleine trotzig weiter in ihre Richtung starrt.
Dann versucht sie sich zu beruhigen, während der Hustenreiz langsam auch ohnne Räuspern nachlässt. Sie brauchte doch keine Angst zu haben, denn es wäre doch nur peinlich, wenn sie von ihnen gefunden würde, versucht sie sich zu beruhigen. Sie hatte doch nichts zu befürchten, denn es waren doch keine unbekannte Banditen. Sie hatte ihre Unterhaltung belauscht, aber ihre Italienisch-Kenntnisse waren nicht ausreichend, um die Zusammenhänge verstehen zu können. Aber die paar Brocken, die sie verstanden hatte und verstanden zu haben glaubte gepaart mit ihrer eigenen Angst ließen sie zittern. Sie mussten Wolff gefunden haben ,,abbiamo trovato un corpo'' und vielleicht hatten sie schon die Polizei verständigt, denn immer wieder glaubte sie ,,polizia'' und ,,assassinato'' zu hören. ,,un problema'' und ,,Abbiamo eliminato'' waren weitere Gesprächsfetzen, die Frauke überhörte. Der Koloss hatte es zu Garda gesagt.
Wolff war nicht mehr in der Grabkammer gewesen, als sie mit Cedrik zurückgekommen war. Hatten Gardas Gehilfen Wolffs Leiche beseitigt. Aber Frauke konnte keinen Sinn sehen, warum sie dies getan haben sollten. Niemand außer einem Täter macht so etwas.
© Bernd Klein