Tauchstationen

Rötlich und golden schimmerte Willachs Gesicht, als er am Feuer vorbeihuschte und dann hinter einem Zelt verschwand ohne Burbacki, Garda und Cedrik zu beachten, die nun schweigend um das Feuer saßen.

Willach ist ein Meister im plötzlichen Verschwinden, dachte Cedrik. Wenn man ihn braucht, kann er sich von einem Augenblick auf den anderen in Luft auflösen und taucht erst wieder auf, wenn sich auch die Probleme verflüchtet haben.

Tagelang hatte er ihn einmal in der Firma vergeblich zu erreichen versucht. Cedrik kam es vor, als habe Willach Angst gehabt, dass Arbeit oder etwas Unangenehmes auf ihn zukomme. Versuchte Cedrik es telefonisch war er entweder nach Aussage der Sekreärin gerade nicht am Platz, oder er hatte gerade ein Telefonat. Auf die Rückrufe, die er sich jedesmal erbat, wartete er vergeblich. Jedesmal tat seine Sekretärin verwundert.

-- ,,Oh, hat er sie nicht zurückgerufen?''

-- ,,Eben, deshalb rufe ich ja wieder an!''

Dann beruhigte sie ihn. Beteuerte ihm wie jedes mal, dass sie ihm diesmal eine Notiz mit dem Vermerk `dringend' zukommen ließe.

Dann nach mehreren vergeblichen telefonischen Versuchen erschien Cedrik persönlich im Sekretariat von Willach. Acht rot glänzende Fingernägel -- die Daumen zeigten in die andere Richtung -- signalisierten ihm wie Rücklichter eines Autos, dass er Abstand halten sollte. Aber als Rosie Schrader ihn erkennte, zog sie ihre frisch lackierten Warnlichter zurück. Sie hielt sie nahe an ihren Mund und blies vorsichtig über ihre Nägel.

-- ,,Oh, der Herr Dumotel. Was verschafft mir die Ehre?''

Cedrik spürte, dass sie sich wirklich freute, ihn zu sehen. Cedrik fühlte, -- und nicht zum ersten Mal -- dass er sie haben könnte. Aber auch wenn Cedrik ungebunden war, so war es für ihn nicht vorstellbar, sich mit ihr einzulassen. Ihre Figur war perfekt! So tadellos, dass viele seiner Kollegen gerne mit schmachtenden Blicken in ihrer Nähe weilten. Aber irgendetwas in ihrem Gesicht war aus dem Gleichgewicht. Auf den ersten Blick wirkte sie hübsch und dann waren da zwei Hälften. Eine düstere Hälfte mit einem Auge, was immer etwas zusammengekniffen wirkte, während das andere aus der heiteren Hälfte weit geöffnet war. Betrachtete man sie nur von der einen Seite, strahlte sie Fröhlichkeit und Zuversicht aus, aber von der anderen Seite, der bedrohlichen Seite, flösste sie Cedrik Unbehagen ein. Melancholie mit Missmut dominierten diese Hälfte. Die Grenze durchlief ihren Mund. Man musste genau hinschauen, aber dann hatte man das Gefühl, dass der eine Mundwinkel leicht nach Oben zeigte, während der andere ebensosehr nach unten zeigte. Cedrik war sich nie ganz sicher, ob er nicht zu genau hinschaute, ob nicht seine mathematische, seine geometrisch und topologisch geschulte Sichtweise Schuld war. Andere sahen wahrscheinlich gar nicht, was er sah. Aber andererseits war sie immer noch mit fast 30 solo, hatte -- so wie man munkelte -- noch nie einen festen Freund gehabt. Obwohl sie seit Jahren, worin sich alle sicher waren, sehnlichst eine feste Beziehung wünschte. Nicht nur wünschte, sie jagte fast hinter jedem Ledigen der Firma hinter her. Einige Männer hatten wohl diese Sehnsucht ausgenutzt, für ein Wochenende oder manchmal auch ein paar Tage mehr. Aber Cedrik wollte sich auch nicht mit ihr einlassen, weil er glaubte, dass sie gar nicht ihn meinte. Für sie war Cedrik einer von den Männern, die ungebunden waren und einen sicheren sozialen Stand. Sie würde sich ebenso beispielsweise für Gumbrecht entscheiden. Hauptsache einer ließ sich dauerhaft mit ihr ein.

-- ,,Ich wollte eigentlich ...zu Herrn Willach?'', sagte er zögerlich und halb fragend.

Cedrik ärgerte sich über sein ,,eigentlich''.

Als sie ihm sagte, dass dieser nicht im Büro sei, erschien ihm dies wie eine Lüge. So als wollte sie ihn bestrafen, dass er nicht zu ihr sondern zu ihrem Chef wollte. Irgendwie glaubte Cedrik zu spüren, dass Willach in seinem Büro sei. Zu diesem Gefühl kamen noch Geräusche, die er gehört zu haben glaubte. So als habe jemand ein Fenster geöffnet, aber dies konnte natürlich auch eine Täuschung sein. Das Gebäude war sehr hellhörig, und es konnte auch aus dem nächsten Büro, also dem Besprechungsraum gekommen sein.

-- ,,Sie könnten nachschauen, wenn Sie mir nicht glauben!'', sagte sie vorwurfsvoll.

-- ,,Ist schon okay!'', sagte er und verließ ungläubig das Sekretariat.

Dann ein paar Tage später -- Cedrik hatte ihn immer noch nicht sprechen können -- huschte Willach abends an der Kaffeeküche vorbei, wo Cedrik darauf wartetem dass die letzten Tropfen durchs Filter liefen. Ein extra starker Kaffee, den sich Cedrik extra für eine Nachtsitzung aufgesetzt hatte. Ein Kaffee so schwarz wie die Nacht vor dem Fenster der Kaffeeküche. Diesmal gehörte Willach ihm, dachte Cedrik. Die Sekretärin könnte ihn nicht im Vorzimmer aufhalten. Auch könnte er wohl kaum mit irgendjemandem im Gespräch sein, denn wahrscheinlich hatten sonst alle schon Feierabend gemacht. Cedrik rannte mit seiner leeren Tasse nach draußen. In dem Bewusstsein, dass außer Willach niemand zu dieser Zeit noch auf dem Flur sein könnte, stürmte er raus. Beim Zusammenprall dachte er für einen Augenblick, dass es Willach wäre, aber Willach musste schon weiter sein. Er war mit einem neuen Mitarbeiter aus Willachs Abteilung zusammengestoßen. Ein Mann dessen Namen Cedrik vergessen hatte oder noch nie richtig gekannt hatte.

-- ,,Verzeihung!'', sagte Cedrik ,,Ich wollte nur ......War da nicht eben Herr Willach?''

Der namenlose Neue bestätigte Cedrik, dass er keine Halluzination gehabt hatte. Willach sei in seinem Büro verschwunden. Er sei auch hinter ihm her. Aber es sei gut, dass er nun Cedrik getroffen habe. Wahrscheinlich sei er sogar der bessere Ansprechpartner als Willach. Bestimmt hätte Willach ihn sowieso an ihn letztendlich verwiesen. Cedrik sei doch auch im Logitelle-Projekt drin. Man habe ihm gesagt, dass er sich bei algorithmischen Problemen an Herrn Dumotel wenden solle. Vielleicht könne er ihm auch eine kurze Frage beantworten.

Zehn Minuten hatte die Diskussion der kurzen Frage gedauert, aber dann war der Neue beeindruckt und zufrieden an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Während des ganzen Gespräches hatte Cedrik Willachs Türe oder besser die Türe von dessen Sekretariat im Visier gehabt. Denn Willach kann sein Büro nur durch das Sekretariat betreteten und verlassen, da sein Büro keinen direkten Zugang zum Flur hat. Wenn Willach sein Büro verlassen hätte, dann hätte Cedrik ihn sehen müssen.

Willachs Sekretärin war wie erwartet nicht mehr anwesend. Nur kurz klopfte Cedrik an Willachs Türe. Er trat ein, ohne auf ein Okay zu warten. Niemand saß am Schreibtisch. Cedrik hätte wieder das Büro verwundert verlassen, wenn er nicht im Hereinkommen das Gefühl gehabt hätte, dass sich etwas am Schreibtisch bewegt habe. Cedrik stand still und lauschte. Er hatte das Gefühl nicht alleine zu sein. Langsam bewegte er sich auf Willachs Schreibtisch zu. Als sich dann dennoch unerwartet eine Gestalt hinter dem Schreibtisch erhob, schreckte Cedrik zusammen.

-- ,,Ach sie sind es!'', sagte Willach, scheinbar erleichtert, während er sich streckte.

-- ,,Wen hatten Sie denn erwartet?'', fragte Cedrik.

-- ,,Mir war nur etwas unter den Schreibtisch gefallen!'', stammelte Lutz Willach dann.

-- ,,Und Sie haben es nicht gefunden?''

Einen Augenblick schaute ihn Willach fragend an. Dann schien er festzustellen, dass er mit leeren Händen aufgestanden war.

-- ,,Nein, ist auch nicht so wichtig!''

Später lernte Cedrik im Gespräch mit anderen Kollegen, dass Willach manchmal auch über den schmalen Balkon, eigentlich nur für Brandfälle vorgesehen, flieht. Unangemeldeten Besuchern entzieht er sich auf diese Weise, sobald er Stimmen oder verdächtige Geräusche in seinem Sekretariat hört. Aber angemeldete Besucher scheint er auch nicht zu mögen, ist sich Cedrik sicher, denn ihm erschien die Terminfülle seines Kalenders nur ein Vorwand. Vom Balkon aus setzt Willach dann seine Flucht über den angrenzenden Begrechungsraum fort, falls dieser nicht gerade belegt ist. Ansonsten wartet er auch im kalten Winter, bis die Gefahr des Besuchers in seinem Raum gebannt ist.

-- ,,Nicht schlapp machen!'', sagte Lutz Willach, der mit zwei Maß Bier in Händen wieder die Feuerstelle passierte, zu Rainer Burbacki

Burbacki schreckte kurz auf und innerhalb weniger Augenblicke tauchte er wieder in seinen Dämmerzustand.

-- ,,Dafür haben Sie ihm ein Bier mitgebracht?'', scherzte Garda.

-- ,,Nein, nein, das ist für Winfried!'', sagte Lutz Willach, der daraufhin schnell vorbeihuschte, um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden.

© Bernd Klein