Mit einem ,,jetzt müsse mal frische Luft in den Raum'' leitete Cutu die Pause ein, schaltete den Beamer aus und eilte mit seinen etruskisch-römischen Sandalen über das prächtige mit Ornamenten verzierte Parkett. Ebenso wie der Fußboden zeugten auch die langflügeligen prachtvollen Sprossenfenster davon, dass dieser Raum im ehemaligen Kloster den Mönchen einmal als Repräsentations- und Festraum gedient hatte. Alle anderen alten Gebäude des Komplexes außer der Kirche hatten deutlich kleinere Fenster.
Während Cutu die Fenster öffnete durch die allerdings weiter nur heiße Luft in den Raum drang, betrat Garda mit zwei Bedienungen den Raum. Sie brachten ein kleines Pausenbüffet mit Joghurt-Früchte-Creme, verschiedenen italienisch-toskanische Süßteilchen und natürlich Kaffee und Tee.
Kaum hatte Cutu und Garda wieder den Raum verlassen, entrüstete sich Gumbrecht, dass dies ganzjähriger Fasching sei.
-- ,,In den USA werden bewährte Mitarbeiter ja auch zum Mardi Grass nach New Orleans geschickt!'', sagte Cedrik mit deutlicher Ironie in der Stimme. Sollte man vielleicht auch in Deutschland einführen. Wer ein ganzes Arbeitsjahr die besten Verkleidungen und Clownerien im Betrieb geliefert hat, darf zum Karneval.
-- ,,Oder zum Kurs in die Toskana!'', sagte Sylvia.
-- ,,Mit Betonung auf `bewährte'!'', ging Gumbrecht noch auf Cedriks erste Bemerkung ein. ,, ...Und wie beim Fasching hat das Dargebrachte den Tiefgang eines Planschbeckens!'',
Sie sollten doch positiv denken, hätten sie doch eben im Seminar gelernt, ermahnte sie Lutz und ließ keinen Zweifel daran, dass er dies ernst meinte.
-- ,,Den Leitspruch fand ich toll: ,,Unser Leben ist, was unser Denken daraus macht!'', sagte Frauke und fügte nach einer kurzen Pause hinzu, dass es ihr verdammt schwer fiele, so zu denken.
-- ,,Wenn man Kaiser ist, fällt einem das schon viel leichter ... ohne Zweifel!'', sagte Cedrik.
-- ,,Marc Aurel sagte, dass `das Leben das Produkt unserer Gedanken' sei'', wandte Gumbrecht lautstark ein und während Frauke einwand, dass das ja wohl nur eine andere Formulierung des gleichen Gedankens sei, brummelte er halblaut, dass Aurel vor allen Dingen kein Etrusker gewesen sei.
-- ,,Habe ich doch auch nicht gesagt!'', wehrte sich Cedrik.
Habe er wirklich nicht gesagt, verteidigte ihn auch Frauke, und Gumbrecht sagte, dass er doch nicht ihn sondern Cutu gemeint habe. Der tue so, als komme jede Weisheit von den alten Etruskern.
-- ,,Da gibt es ja auch andere!'', sagte Sylvia unter allgemeinem Gelächter und alle starrten Gumbrech an.
-- ,,Im Prinzip ist es doch egal von wem seine Weisheiten stammen! Wichtig ist, ob sie stimmen oder nicht ...und ich fand die super!'', sagte Frauke.
-- ,,Allgemeinplätze!'', sagte Gumbrecht verächtlich. Seinem verbissenen Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass er nicht bereit war, Cutus Seminar irgend etwas Positives abgewinnen zu wollen. ,,Das waren doch alles abgedroschene Weisheiten und Binsenweisheiten. Dinge, die man in jedem Management-Motivationseminar findet. Auch wenn es mit pseudo-etruskischen Scheinfakten aufgemotzt worden ist, so ist es doch nur eines dieser Seminare für die Leute locker mal tausend Euro zahlen. Dafür dass sie ein charismatischer Animateur von den Stühlen reisst. Dann glauben sie, dass sie alles können, dass sie Präsident werden können, dass sie Künstler werden können, was immer sie bisher nicht zu träumen gewagt haben. Aber spätestens am nächsten Morgen wachen sie mit Katerstimmung auf. Sie spüren, dass alles nur tolle Sprüche waren. Nur heiße Luft. Sie erkennen, dass sie nichts erhalten haben, dass ihnen wirklich ganz praktisch hilft, ihr Leben umzustellen.''
-- ,,Jetzt spielen Sie wieder den Miesepeter!'', entrüstete sich Lutz Willach. ,,Cutu hat recht: Man muss optimistisch sein, muss an sich selbst glauben und dann schafft man es auch! Leute wie Sie machen alles kaputt mit dieser ständigen zeretzenden Skepsis!''
Er mache nichts kaputt. Aber solche Schönfärberei könne er nicht so stehen lassen. Nach so einem Geschwafel sei doch das ganze Leben ein Kinderspiel. Man brauche sich nur etwas vorzunehmen, müsse dann konsequent dran arbeiten und alles würde sich in wunderbarer Weise von selbst erfüllen. So wie bei seiner ersten Folie der Läufer mit den erhobenen Armen.
Nachdem Garda Cutu als neuen Seminarleiter für diesen Tag vorgestellt hatte, hatte sie unter dem Applaus der Anwesenden den Raum verlassen. Nur ein kurzes mit einem Lächeln versehenes Danke und dann hatte Cutu wortlos zum Beginn seines Vortrages das Bild eines Athleten eingeblendet. Ein Läufer, der erschöpft und verschwitzt als erster durch die Zielgerade läuft. Aber in seinem Gesicht ein Lächeln, dass ohne Zweifel verrät, dass es sich um einen der größten Glücksmomente in seinem Leben handeln muss. Ohne Kommentar hatte Cutu dieses Bild eine Weile kommentarlos stehen lassen. Dann hatte er den Text ,,Sie wurden als Sieger geboren!'' eingeblendet. Im Raum herrschte Schweigen und in perfekter Bühnenaussprache, so als gelte es einen Raum mit Hunderten von Zuschauern stimmlich zu bedienen, intonierte er ,,Kein Sieger glaubt an den Zufall.''
Auch diesen Satz ließ er wirken, wie ein Priester in einer heiligen Zeremonie. Im richtigen Moment hatte er dann seine Gedanken weiter ausgeführt. Schon die alten Etrusker hätten gewusst, dass man um eine Schlacht zu gewinnen, überzeugt sein muss, dass man der Sieger sein wird. Zwar könne man eine Schlacht auch verlieren, obwohl man vom Sieg überzeugt sei, aber nie und nimmer könne man gewinnen, wenn man sich für den Verlierer hält.
-- ,,Eine Aussage muss nicht richtig sein, bloß weil sie plausibel erscheint!'', sagte Gumbrecht während er sich eine Tasse Kaffee einschenkte und nach den Süßteilchen Ausschau hielt.
Cutu habe doch gezeigt, dass es sich nicht nur um Vermutungen handelt, sondern dass man dies auch in der Psychologie untersucht habe, sagte Lutz und Frauke, die in den Unterlagen geblättert hatte flochte noch die passenden psychologischen Fachgegriffe ,,externale und internale Kontrollüberzeugung'' in die Diskussion ein. Es habe sich gezeigt, zitierte sie, dass die internale Kontrollüberzeugung, also dass Denken, dass man das Leben selbst in der Hand hat und nicht durch äußere Umstände bestimmt wird, die Haltung ist, die einem nicht nur Erfolg sondern auch Wohlbefinden und Gesundheit sichere.
-- ,,Und? Wie macht man aus einem Pessimisten einen Optimisten? Wie schafft man plötzlich Begeisterung für die Arbeit, damit man nicht weiter aufschiebt?'', sagte Gumbrecht, während er in einen Apfelblätterteigkuchen biss.
-- ,,Nicht `MAN'! Wie überwinde `ICH' meine pessimistische Sichtweise! Wie überwinde ich meine `Aufschieberei'!'', korrigierte ihn Frauke mit einer Überzeugungskraft, als sei sie die Kursleiterin.
-- ,,Gut, gut. Aber was kann man tun? Auf diese Frage bleib er uns die Antwort schuldig!''
Blieb er nicht, entgegnete Frauke, die nun wieder in ihren Unterlagen suchte. Man solle zurück schauen auf tolle Leistungen in der Vergangenheit. Gumbrecht murmelte, dass einige dann ganz schön weit zurück gehen müssten.
Die anderen hatten sich ausgeklingt und diskutierten mit großer Begeisterung, was sie nach dem Seminar nachmittags machen könnten und was sie wohl mittags und abends als Essen erwarten könnten. Frauke fuhr unbeiirt weiter fort. Man müsse Glücksmomente schaffen. Seinen Schreibtisch zum Beispiel schön aufräumen mit ein paar hübschen Gegenständen aufpeppen. Möbel im Büro umstellen, so dass zum Beispiel mehr Licht hineinkommen, dass man nicht mehr so eingemauert sei. Man solle sich eine Liste mit den Dingen anfertigen, die einem Freude und gute Laune bereiteten.
-- ,,Weiß ich! Ich war ja schließlich auch im Seminar!'', unterbrach sie Gumbrecht unwirsch.
-- ,,Da schon, aber haben Sie auch zugehört?''
-- ,,Was nützen mir solche dämlichen Tipps!, polterte Gumbrecht, der Frauke ihre Unterlagen aus der Hand gerissen hatte, ,,Zum Beispiel: `Es genügt nicht zur Arbeit zu gehen, um Ärger zu vermeiden. Man müsse sich vielmehr auf die Arbeit freuen und hingehen, um etwas positives erreichen zu wollen!' ''
-- ,,Ist doch richtig!''
-- ,,Klar würde ich auch gerne fröhlich und voller Elan zur Arbeit gehen! Aber wie ich von der'', Gumbrecht stoppte und suchte die Begriffe in Cutus Unterlagen, ,,Weg-von-Motivation in die Hin-zu-Motivation komme weiß ich nach seinem Vortrag immer noch nicht!''
Die anderen waren mittlerweile in einer Kaffeetassen-Erörterungsrunde. Es sei wirklich dumm, dass es keine richtigen Kaffeetassen gäbe, meckerte Cedrik. So richtig große meine er. Jetzt habe er sich schon das dritte kleine Tässchen einschenken müssen.
-- ,,Stimmt!'', bekräftigt Sylvia, ''Wie nennt man die eigentlich?''
-- ,,Kleine Tassen seien doch gut! Kaffee sei eh nicht so gesund!'', mischte sich nun auch Frauke ein, um Gumbrecht zu entrinnen.
-- ,,Zuccotti!'', sagt Garda, die gerade den Raum wieder betreten hatte.
-- ,,Ich meinte doch in Deutsch'', sagt Sylvia.
-- ,,Biskuitbombe!'', sagt Garda vielversprechend lachend, ,,toskanische Biskuitbombe!''
Während sie Zucotti und Kaffee genossen, diskutierten sie, ob man nun kein richtiges Wort für große Tassen habe, oder ob man sie auch als Krüge bezeichnen könnte.
Gumbrecht schweigt nun. Einerseits weil ihm niemand mehr zuhören will und andererseits, weil nun Garda im Raum war und Cutu jeden Augenblick kommen würde.
© Bernd Klein