Aufbruch

-- ,,Dein Vater wäre stolz, wenn er dich jetzt sehen würde!'', sagte Vulca zu seinem Cousin Cutu.

Während er dies sagte, schaute Vulca seinen Cousin nicht an, sondern starrte auf die hinter ihnen liegenden Rauchsäulen am Horizont. Wie riesige nebelverhangene Leuchttürme ragten sie aus dem tiefen Blau des Meeres in das lichte Blau des Himmels. Rauch der von den zahlreichen Schmelzöfen der Insel stammt. Die rußigen Feuer, die fast überall auf der Insel loderten, machten diese Insel für die Griechen zum ,,Land der tausend Feuer'' und die Funken und der Ruß finden sich in ihrem Namen Aethalia. Später würden die Römer die Insel Ilva nennen, und es gehört nicht viel Sprachgefühl dazu, daraus schon den modernen Namen Elba herauszuhören.

Aethalia war eine Insel, die von den Phöniziern, Karthagern und Griechen gleichermaßen gierig wegen der scheinbar unerschöpflichen Bodenschätze beobachtet und begehrt wurde. Ideal weil man das Eisenerz wegen der dichten Bewaldung direkt auf der Insel verarbeiten konnte. Allerdings zogen sich wegen der intensiven Abholzung für die Schmelzöfen immer breitere und tiefere waldfreie Schnitte und Flächen wie Geschwüre durch die Insel. Hier und natürlich auch in Cutus und Vulcas gegenüber auf dem Festland gelegener Heimatstadt Fufluna wurde von den Etruskern das Eisen abgebaut und geschmiedet, welches sie zu den reichsten und damit auch nahezu zwangläufig mächtigsten Völkern ihrer Zeit machte.

Das Schiff liegt ruhig im Wasser mit prallgefüllten Segeln. Kurs auf Corsika, welches die Phönizier wegen seiner dichten Wälder Corsis nannten, was soviel wie ,,waldiger Ort'' bedeutet. Die Ruderer genießen die Pause, die ihnen der Wind nach einer anstrengenden Etappe verschaffte, mit Essen und Trinken.

-- ,,Wenn mein Vater noch lebte, hätte ich diese Fahrt gar nicht unternommen ...hätte ich sie gar nicht unternehmen müssen!'', korrigierte ihn Cutu ernst, aber mit einem verkniffenen Lächeln.

Wäre nicht der Altersunterschied, könnten Vulca und Cutu auch Brüder sein. Beide das gleiche langgezogene Gesicht mit schmalen Lippen und einer dünnen leichten Hakennase, die ideal mit der Form des Gesichtes harmoniert. Beide wildes gelocktes Haar, tiefschwarz bei Cutu und bei Vulca ebenso schwarz aber von grauen Strähnen durchsetzt. Die Haare um Cutus Wangen und Kinn erwecken den Anschein, als hätten sie ein eigenes Leben. Dicht und kraus verstärken sie den Anschein eines vor Kraft strotzenden jungen Mannes, den keine Frau übersehen konnte. Cutu wusste vor allen Dingen um die Kraft seiner Augen, große mandelfarbene Augen unter dichten dunklen Lidern. Augen, die zwar ein wenig zu weit vorstanden, aber eine magische Kraft vor allen Dingen bei Frauen entfachen konnten.

-- ,,Von müssen kann keine Rede sein. Ich weiß nicht, was du in Alalia herausfinden willst. Ich habe dir doch genau erzählt, was passiert ist, oder traust du meinen Aussagen nicht?''

-- ,,Doch schon, aber vielleicht hast du dich ja in deinen Einschätzungen geirrt! Wenn ich mir nicht selbst ein Bild mache, komme ich nicht zur Ruhe. ...Ich bin es ihm schuldig!''

Nach einer Weile fügte Cutu hinzu, dass schließlich einige in Alalia sich einen Vorteil von seinem Tod versprochen hätten. Wie er das meine, fragte ihn Vulca. Schließlich habe sein Vater doch versucht, den Handel mit Eisenerz aus den Alpen auszubauen und das wäre sicherlich zum Schaden von Alalia gewesen. Damit hätten auch viele auf Aethalia einen Grund gehabt, ihn zu töten, wandte Vulca ein, denn die seien nach wie vor ihr Hauptlieferant!

-- ,,Nicht zu vergessen die Händler in Fuflunia!'', sagte Cutu scharf.

Vulca ignorierte Cutus Bemerkung, obwohl er spürte, dass er damit auch ihn meinte, denn Vulca verdiente nicht unerheblich am Handel mit Erz, aber nur mit dem von Alalia. Statt sich zu verteidigen, begann Vulca zu erklären, warum Cutus Vater sowieso nie die Lieferung aus Alalia und Elba durch Erz aus den Alpenländern hätte ersetzen können. Wie er wisse leide Fufluna doch unter einer Knappheit von Eisenerz. Sie könnten nie auf den Handel mit Alalia verzichten. Das gewichtigste Argument sei jedoch, dass der Transport über Land viel zu teuer sei.

-- ,,Ja, aber Alalia müsste dann zu einem deutlich billigeren Preis liefern. Das würde einigen nicht passen! ...Gerade du musst das doch verstehen?''

-- ,,Wie meinst du das?'', sagte Vulca mit stechendem Blick.

-- ,,Du verdienst doch auch ganz gut daran!''

-- ,,Klar und deshalb habe ich Plecu nach Alalia gelockt, um ihn dort zu töten?'', ging Vulca sarkastisch in die Offensive, aber mit einem lauernden Blick, so als wolle er ganz sicher sein, dass sein Cousin ihn nicht verdächtige.

-- ,,Blödsinn! Da hättest du es in Fufluna einfacher haben können!''

-- ,,Wenn ich es gewollt hätte! Aber warum hätte ich meinen eigenen geliebten Bruder töten sollen!''

Nach einer Weile fragte Vulca scheinbar beiläufig seinen Cousin, ob er an den Plänen seines Vaters festhalten wolle, den Handel mit dem Norden zu verstärken. Er wäre immer davon ausgegangen, dass er in dieser Frage anderer Meinung sei als sein Vater.

-- ,,Man kann seine Meinungen auch ändern!''

-- ,,Genau!'', sagte Vulca, der Cutus Antwort falsch interpretierte.

-- ,,Ich meinte, dass ich meines Vaters Plan nun auch für eine gute Sache halte!''

-- ,,Ich würde das an deiner Stelle aber zumindest in Alalia für dich behalten!'', ermahnte in Vulca.

-- ,,Sonst wäre mein Leben wohl auch nichts mehr wert?''

Auch wenn es nach Thana gegangen, befände Cutu sich nicht auf dem Schiff. Am Hafen hatte sie, während dicke Tränen ihre Wangen herunterkullerte, seine Hand nicht loslassen wollen, und er musste ihre Umklammerung mit Kraft lösen. Dann, im Weggehen, hatte sie sich in sein Gewand gekrallt und daran gezerrt und gezogen, dass er es beinahe verloren hätte. Sie kniete sich auf den Boden und flehte ihn an, Fufluna nicht zu verlassen, denn sie wolle nun nicht auch noch den Bruder verlieren. Ein Alptraum hatte von ihr Besitz ergriffen, den sie ihm jedoch nicht anvertrauen wollte. Keinerlei Andeutungen, als er nachbohrte, ob es sich denn bei der Vorahnung, die ihr im Traum erschienen sei, um karthagische Piraten oder ein verheerendes Unwetter handelte. Sie brauche keine Angst um ihn zu haben, sie würde ihn bestimmt wiedersehen, das verspreche er ihr. Auch wenn er sich ihr gegenüber bewusst selbstsicher gegeben hatte, so musste er dennoch gegen die von ihr geschürte Angst ankämpfen. So sagte er sich, dass seine Schwester häufig solche Visionen hatte. Eigentlich wäre es verwunderlich gewesen, hätte sie vor dieser Reise keine gehabt. Im Nachhinein hatten sich bisher die meisten ihrer Zukunftsvisionen als völlig unbegründet erwiesen. Klar, dass sie hier und da auch schon einmal recht hatte. Wenn man ständig Prphezeiungen macht, muss auch manchmal etwas eintreffen, dass war doch nahezu zwangsläufig, sagte sich Cedrik. Aber warum sollten sich gerade diesmal ihre Ängste bewahrheiten? Sie fürchtete sich vor allem und überall sah sie unheimliche überirdische Kräfte am Werk. Es würde nichts passieren, versuchte er sie zu trösten und wenn, dann sei es doch eh der Wille der Götter, dem man sich nicht entziehen könne, egal ob in der Heimat oder in der Fremde.

-- ,,Du bist es doch immer, der sagt, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen müsse.'', hatte seine Schwester erstaunt zu ihm am Hafen gesagt, ,,Du sagst doch immer, dass die Götter viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt seien, um sich um unsere irdischen Angelegenheiten zu kümmern.''

-- ,,Nimm wenigstens dein Kreuz, ...'', beschwor ihn Thana.

-- ,,Dein Kreuz! Ich habe es dir geschenkt!'', entgegnete ihr Cutu.

Wenige Tage vorher hatte er es ihr zu ihrem Geburtstag geschenkt. Das Kreuz hielt sie für ihren Glücksbringer. Aber sie hatte es, wie sie später dachte, einen Tag zu spät erhalten. Denn am Tag, als sie ihren Talisman erhielt, konnte sie noch nicht wissen, was sich in Alalia auf Corsis einen Tag zuvor ereignet hatte. Erst Tage später erfuhren sie von dem, was ihrem Vater zugestoßen war, denn wegen stürmischer See konnten tagelang keine Schiffe in See stechen.

-- ,, ...nimm es! Es wird dir den Weg zurück zu mir und der Heimat zeigen!'', bedrängte ihn Thana und nahm die Kette mit dem etruskischen Kreuz von ihrem Hals. Der große blaue Edelstein in der Mitte glitzerte im Sonnenlicht. Die vier gleichlangen Arme des Kreuzes enden in Halbkreisen deren Durchmesser die Breite der Arme überragt, ähnlich einem Anker- oder Tatzenkreuz. Jeden Halbkreis ziert wiederum ein blauer Stein, aber viel kleiner als der leuchtende im Zentrum des Talismans.

-- ,,Nein, du brauchst es hier nötiger!'', sagte Cutu, während er ihre Hände sanft zurückschob und ihre Finger über dem Kreuz schloss.

Sie hatte das Kreuz auch am Abend zuvor getragen, als sie mit Cutu zur Grabstätte ihrer Familie im Heiligen Wald gegangen war. Cutu wollte den Ahnen opfern, um sich ihren Segen für die Reise zu sichern. Auch sein Vater war diesem Brauch am Vorabend seiner Abreise nach Corsis gefolgt. Vergeblich, dachte Cutu bitter, während er mit seiner Schwester durch den düsteren Wald zu den Grabstätten gegangen war.

Er erinnerte sich auch daran, dass sowohl er als auch seine Schwester sich als Kinder in diesem Wald immer gefürchtet hatte. Als Kind klammerte er sich immer ganz fest an die Hand seiner Mutter. Warum man denn nicht Oma und Opa irgendwohin gebracht hätte, wo es schön hell sei, hatte Cutu seine Mutter gefragt, als er noch so klein war, dass er seinen Kopf tief in den Nacken neigen musste, um zu ihr aufzuschauen. Sie hätten es schön, dort wo sie wären, sagte seine Mutter. Bei hellem Kerzenschein würden sie singen und tanzen. Jünger und schöner als sie gestorben waren.

-- ,,So wie auf den Bildern?'', fragte er dann immer.

-- ,,So wie auf den Bildern!'', antwortete sie dann wie eine mechanische Gebetserwiderung.

-- ,,Aber, Mama, warum tanzen und singen sie nie, wenn wir auch da sind?''

Wenn Sie ihm dann erzählte, dass Februs, der Herrscher über die Schatten in der Unterwelt, dies nicht erlaube, spürte Cutu auch bei seiner Mutter eine gewisse Unsicherheit. Sie wollte glauben, dass es eine Nachwelt gäbe, eine fröhliche, eine in der Ihre Eltern fröhlich weiterexistierten und wo sie sich einmal wiedersehen würden. Für Cutu war auch ihre tiefe Trauer, als ihre Mutter, Cutus Oma, starb, ein Beweis dafür, dass sie selbst nicht an diese bunte fröhliche Vorstellung eines Lebens nach dem Tode glauben konnte.

-- ,,Warum bist du so traurig, wenn Oma doch nun so glücklich sein kann?'', hatte er sie nach der Bestattung gefragt.

Er hatte sie mit seiner Frage überrascht, aber ihre Antwort räumte zunächst einmal seine Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres Glaubens beiseite.

-- ,,Weißt du, ich bin traurig wegen uns, weil wir sie nun nicht mehr um uns haben!''

Auch wenn Cutu nicht an das bunte Treiben nach dem Tode glauben konnte, wollte er es dennoch gerne auch einmal an seine noch nicht existierenden Kinder weitergeben, denn es erschien ihm als eine schöne Trost spendende Vorstellung.

Cutus Lieblingsbild in der riesigen Grabkammer seiner Familie war der Flötenspieler im bunten Gewand. Er spielte auf zwei Flöten gleichzeitig. Sein Onkel, Vulcas Vater, hatte es gemalt, wie auch alle anderen in der riesigen Grabkammer. Vielleicht liebte er es auch deshalb so sehr, weil er dabei war, als sein Onkel die ersten Pinselstriche auf den nackten rötlichen Fels brachte. Er hatte verwundert zugeschaut, wie langsam das Bild aus der Vorstellung seines Onkels auf dem Fels Form und Farben gewann.

-- ,,Eigentlich würde ich gerne die Musik selbst festhalten!'', hatte sein Onkel zu ihm gesagt, als er mit dem Bild des Flötenspieler begann, ,,Aber wir können nur das, was das Auge sieht, festhalten. Die Töne sind flüchtig. Kaum gehört sind sie schon im nächsten Moment für immer verloren.''

Auf der einen Flöte spiele der Musikant die schönen Töne, erklärte sein Onkel ihm später. Töne, die Glück und Liebe in die Welt bringen. Die andere Flöte hingegen brächte nur schrille Töne hervor. Töne, die je nach Melodie, Liebe in Hass kehrten, Glück in Unglück wandelten und Leben zum Tode führten. Aber warum er denn nicht einfach nur auf der einen, auf der guten spielte, wollte Cutu wissen. Das tue er manchmal, dann spiele er nur auf dieser, und die Menschen lebten in Frieden und Wohlstand und könnten sich kaum mehr vorstellen, jemals Krieg gehabt zu haben. Beim Klange dieser Flöte könnten sie sich der Illusion hingeben, dass Hass, Neid und Zwietracht für immer aus der Welt gebannt seien. Aber schon ein paar scharfe Klänge auf der anderen Flöte, ließen jäh solche Träume platzen. Meistens spielte er aber gleichzeitig und verstreue so Glück und Unglück, Frieden und Zwietracht gleichermaßen in der Welt.

Als Cutu mit Thana am Vortag seiner Abreise nach Corsis vor dem Bild standglaubte er in seinem Kopf die widerstreitenden Flöten zu hören. Verzaubernde Melodien mit schrillen Unterbrechungen und zu den Schlägen von Trommeln tanzte der Flötenspieler. Er tanze vor einem Abgrund, und er müsse aufpassen nicht hineinzufallen, hatte sein Onkel damals gesagt. Man habe sehr viel selbst in der Hand, nicht alles sei der Wille der Götter und nichts sei vorherbestimmt. Er solle nicht zu viel auf die Priester hören. Cutu spürte, dass er damit auch seinen Vater meinte. Sein Vater war, nachdem ihn die bedeutendsten Familien von Fuflunia zum König auf Zeit gewählt hatten, auch gleichzeitig oberster Priester des Stadtstaates war.

-- ,,Aber warum glauben, die Menschen denn, dass alles schon vorher fest steht?'', wollte Cutu von seinem Onkel wissen, ,,Es ist doch schlimm, wenn alles vorher feststeht!''

-- ,,Sie glauben es, weil es bequemer ist. Dann können Sie ihre eigenen Fehler und Schwächen besser entschuldigen. Und sie glauben daran, weil die Mächtigen und Reichen alles tun, diesen Glauben zu erhalten. Warum sollte man sich gegen die Herrschenden auflehnen, wenn sie wegen dem Willen der Götter in ihren Positionen sind.

Sein Vater sagte immer nur, dass die Dinge so seien wie sie seien. Er stelle zu viele Fragen antwortete er häufig, ohne genau hinzuhören, was er eigentlich fragte. Er schenke seinem Onkel zu viel Gehör, tadelte er ihn dann. Er solle sich nicht von den Hirngespinsten eines Künstlers in die Irre leiten lassen. Künstler wüssten nicht, was wirklich zählte in der Welt und sie lebten von dem Wohlwollen und der Unterstützung von Leuten wie ihm, also von Leuten, die es durch harte Arbeit zu Reichtum gebracht hatten.

-- ,,Es kann nicht sein, dass unser Vater wegen ein paar Tönen auf der falschen Flöte umgekommen ist!'', sagte Cutu.

Nein, sagte Thana und hielt dann ihr neues Kreuz hoch.

-- ,,So ein schönes Schmuckstück hast du noch nie geschmiedet. Selbst Fanacnei müsste vor Neid erblassen!'', hatte Thana bei den Grabstätten geschwärmt, während sie den goldenen Anhänger, der an einer Kette um ihren Hals hängt, in ihrer Hand wiegte.

Cutus und Thanas Vater hatte seine Schmiedekunst bei Fanacnei gelernt, aber seinen Meister nie erreicht. Zumindest nicht was den Ruhm betrifft. Fanacneis Name wurde selbst von griechischen Kunstschmieden mit Ehrfurcht ausgesprochen. Ein Ruhm, der nach seinem Tode sogar noch ständig wuchs. Aber Plecu Apatrui, Cutus Vater, war der bessere Geschäftsmann. Sein Reichtum entsprach dem Ruhm Fanacneis, und dessen Ruhm nützte er für seine Geschäfte. Brüstete sich damit, dass er bei Fanacnei gelernt und lange mit diesem zusammen gearbeitet habe. Manches Geschmeide, welches nur aus Plecus Schmiede kam, verkaufte er als Werk des großen Meisters.

-- ,,Das schönste Geschmeide für die schönste Frau in Pupluna, nein Etruria, schöner als jede Griechin oder Ägypterin!''

-- ,,Schweig', ich bin doch deine Schwester!'', wehrt sich Thana, aber Cutu spürt, dass ihr sein Lob gefällt.

-- ,,Leider! Ich wäre lieber der Sohn eines Bauern als der Fürstensohn, wenn ich dann dein Liebhaber sein könnte!''

-- ,,Willst du, dass ich mir einen Bauern als Liebhaber suche?'', hatte Thana gescherzt.

Thana wäre jetzt bestimmt im Tempel, dachte Cufu auf dem Schiff bei der Abreise. Sie würde für eine glückliche Rückkehr den Göttern opfern. Auch wenn er nicht glaubte, dass sich die Götter zu irgendeiner Handlung mit Opfergaben beeinflussen ließen, gab ihm diese Vorstellung dennoch eine tiefe Sicherheit.

-- ,,Das ist eine verschworene Gesellschaft in Alalia, schlimmer als Karthager, Phönizier und Griechen zusammen'', reißt ihn Vulca aus seinen Erinnerungen.

Die Rauchsäulen von Aethalia, dem Land der Tausend Feuer, blassten langsam am Horizont.

Während Zeige, Mittel- und Ringfinger seiner linken Hand seine Lippen und seinen Mund verbargen, fügt Vulca deutlich leiser hinzu, dass Cutu wahrscheinlich eh nicht viel in Corsis herausfinden würde.'',

-- ,, `Wir', du meinst, dass wir nichts herausfinden? Du bist doch auch mitgekommen, um herauszufinden, was mit meinem Vater geschehen ist!''

-- ,,Wie oft soll ich es dir noch sagen: Ich weiß, was passiert ist. Ich bin dabei, damit du keine Dummheiten machst'', sagt Vulca und verschließt mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenflügel und die Innenfläche seiner Hand schmiegt sich fest um seinen Mund.

Wenn Vulca von Dummheiten redete, dann konnte er nur seinen Lebensstil meinen, denn Cutu kannte seine Zurechtweisungen zur Genüge. Obwohl Cutu bei seinem Vater die Goldschmiedekunst gelernt hatte Herumhuren und Saufen, dass sei eines Fürstensohnes nicht würdig. Das sei eines Menschen nicht würdig. Animalisch sei er. Er müsse sein Leben endlich auf seine eigenen Beine stellen. Etwas tun, was ihre Gesellschaft und seine Familie weiterbringe. Etwas leisten, wovon man auch noch in Jahrhunderten sprechen. Dann fing er meist an, sich selbst zu loben. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre Alalia und ganz Corsis heute in griechischer Hand.

-- ,,Ich schwöre bei Veive: Ich werde herausfinden, was die wirklichen Hintergründe waren!'', sagt Cutu wütend.

-- ,,Mein Onkel wurde von seiner eigenen Leichtgläubigkeit getötet.'', sagte Vulca und fügte dann hinzu: ,,Und dir blüht das Gleiche!''

Cutu wusste, was Vulca meinte. Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, hatte Vulca einmal zu ihm gesagt, dann spräche man heute in Fufluna griechisch. Wie könne man es zulassen, dass Griechen eine Hafenstadt einen Steinwurf entfernt vor der eigenen Stadtmauer bauten. Die griechische Neugründung war zwar nahe an Fufluna, aber der Steinwurf entsprach einem drei Stunden währenden beschwerlichen Fußmarsch durch Sümpfe und dichte Wälder. Nicht nur, dass sein Vater nichts gegen diese Eindringlinge unternommen hätte, er hatte sie als Bereicherung ihrer Kultur angesehen, und hätte sie sogar zu den Tempel-Spielen nach Fufluna eingeladen. Viele Männer seien auch gekommen. Es sei sehr friedfertig abgelaufen, aber am Ende seien, so Vulca, drei ihrer schönsten Frauen mit den Griechen weggezogen. Ihre Gastfreundschaft hätten sie missbraucht, indem sie ihre Frauen geraubt hätten. Aber auch das hätte sein Vater beschönigt. Hätte darauf hingewiesen, dass ja auch in ihrer Stadt mittlerweile einige Griechinnen als Ehefrauen von etruskischen Männern weilten. Außerdem hätten die Griechen sie nicht geraubt, sondern hätten Fufluna gewissermaßen im Tausch ein äußerst lukratives Handelsabkommen angeboten. Für drei Weiber, die nichts taugten, die sich jedem Mann um den Hals geworfen hätten, also auch den Griechen, würde sich der Reichtum ihrer Stadt im Gegenzug mehren. Außerdem würden solche Hochzeiten die Friedensbeziehungen zwischen ihren Städten stärken. Niemand würde diese Frauen in ihrer Stadt vermissen. Frauen, die nur lasziv und noch nicht einmal schön seien.

Widersprüchlich sei sein Onkel gewesen. Einserseits sei er völlig arglos gegen die Griechen gewesen, aber voller Ängste gegen Karthago. Selbst als alle anderen Stadtoberhäupter bereits die Notwendigkeit eines Bündnisses zwischen Etrurien und Karthogo eingesehen hätten, habe sein Vater immer noch geglaubt weiterhin friedlich Handel treiben zu können.

© Bernd Klein