Die Suche

Die Schnelligkeit mit der die Dunkelheit hereingebrochen war, hatte Cedrik überrascht. Nachdem dann auch noch der Mond hinter einer Wolke, einer der wenigen, die es in dieser ansonsten sternklaren Nacht gab, verschwunden war, wirkte der Wald um ihn herum unheimlich. Der Lagerplatz schien mit dem Verschwinden des Mondes weiter entfernt, auch wenn nun der Feuerschein hinter ihm deutlicher zwischen den Bäumen schimmerte. Schreie von Vögeln, deren Art Cedrik nicht zuordnen konnte, schienen das diffuse Stimmengewirr, welches vom Lager durch die Stille der Nacht hallte, zu kommentieren.

Im Prinzip könne ihm doch egal sein, ob Frauke mit Wolff zusammen sei oder nicht, sagte sich Cedrik in seinem Kampf gegen die brodelnde Eifersucht. Warum wanderte Frauke alleine nachts durch einen fremden Wald? Das war verrückt. Es passte überhaupt nicht zu ihr. Sie, die sich vor Geistern und allem fürchtete. Warum hatte sie überhaupt das sichere Lager verlassen?

Langsam tastete er sich mit ausgestreckten Händen auf dem schmalen Pfad vorwärts. Unter seinen Füßen knackten vertrocknete Zweige und kleine Äste, die er nicht sehen konnte. Vorsichtig bewegte er seine Füße, um nicht an einer der zahlreichen hervorstehenden Baumwurzeln zu stolpern. Im Prinzip konnte er nur noch wenige Meter von der Lichtung entfernt sein, in der sich die Ausgrabungsstätte mit den Grabkammern befand. Wenn der Mond wieder schien, käme er wieder schneller voran.

Plötzlich dachte er wieder an Burbacki und seine panische Angst vor den imaginären Jägern. Tagsüber hatte Cedrik darüber lachen können. Er ärgerte sich, dass Burbacki seine Angst nicht hatte für sich behalten können, denn jetzt war ihm auch mulmig. Auch wenn er in der Dunkelheit keine Patronenhülsen auf dem Boden sehen konnte, stellte er sie sich vor. Jeder Stein, der unter seinen Schuhen kullerte, war plötzlich alte Munition und jedes laute Krachen von Ästes, auf die er trat oder die er mit seinem Oberkörper im Vorbeigehen brach, erschreckte ihn wie Gewehrschüsse. Es musste ja noch nicht einmal ein Verrückter sein, der absichtlich auf ihn schoss. Was wenn einer dieser passionierten Jäger irgendwo im Wald auf der Lauer lag und ihn für Wild hielt? Blödsinn, dachte er, wenn irgendwo noch Jäger wären, hätte er schon längst Schüsse gehört haben müssen. Außerdem vergewisserte sich doch ein Jäger vorher, auf was er schießt, versuchte sich Cedrik zu beruhigen. Aber auch diese Logik half nicht, die Angst von sich zu streifen.

Möglicherweise war Frauke längst wieder zurück. Vielleicht war sie ja nur im Kreis ums Lager gewandert. Dann hätte er ihr natürlich nicht begegnen können. Vielleicht war sie zurückgeeilt als sie bemerkte, dass Wolff ihr nachstellte. Dann wäre auch Wolff wieder zurück im Lager. Im Wechselbad seiner Emotionen war er nun wieder auf Eifersucht eingestellt. Er stellte sich nun vor, wie Wolff neben Frauke am Lagerfeuer saß. Wie er ihr immer näher rückte und ihr ein Gespräch aufdrückte.

Er konnte es nicht riskieren. Er musste Frauke weiter suchen und sie vor Wolff schützen. Aber Cedrik setzte sich ein Ziel. Wenn er sie bis zur Ausgrabungsstätte nicht finden würde, -- denn dorthin hatte ja Frauke mit ihm gehen wollen, -- dann würde er zum Lager zurückkehren.

Cedrik konnte in der Dunkelheit schlecht abschätzen, wie weit es noch wäre, aber er glaubte bald dort zu sein. Er musste schnell dort sein, dachte er sich, denn aus seiner Angst war plötzlich eine irrationale Gewissheit geworden, dass Wolff Frauke gerade jetzt dort auflauerte. Auch wenn sein Verstand es als Hirngespinste abwies, konnte er die Vorstellung nicht mehr verblassen lassen. Wolff sei kein Sexualverbrecher, sagte ihm sein rationaler Verstand, aber all die Anzüglichkeiten Wolffs der letzten beiden Tage widerhallten in Cedriks Gedanken, er sah Wolff am Strand und stellte ihn sich nachts an seiner Hotelzimmertüre vor, wie er nackt auf -- wie er sich sicher war -- Frauke gewartet hatte.

© Bernd Klein